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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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Schubkarren ein einziges Mal abzusetzen.
    Wenn sie vom Markt zurückkommt, macht sie eine Suppe aus dem Gemüse, das sie nicht verkauft hat, und Marmelade aus den Früchten. Sie ißt, sie geht in ihren Weinberg, um dort Mittagsruhe zu halten, sie schläft eine Stunde, dann kümmert sie sich um den Weinberg oder kehrt, wenn es dort nichts zu tun gibt, ins Haus zurück, sie hackt Holz, sie füttert erneut die Tiere, sie führt die Ziegen zurück, sie melkt sie, sie geht in den Wald und bringt Pilze und trockenes Holz mit, sie macht Käse, sie trocknet Pilze und Bohnen, anderes Gemüse weckt sie ein, sie gießt erneut den Garten, schafft Sachen in den Keller, und so weiter, bis es Nacht wird.
    Am sechsten Morgen, als sie das Haus verläßt, haben wir den Garten schon gegossen. Wir nehmen ihr die schweren Eimer mit dem Schweinefutter aus den Händen, wir führen die Ziegen zum Fluß, wir helfen ihr, den Schubkarren zu beladen. Als sie vom Markt zurückkommt, sind wir dabei, Holz zu sägen. Beim Essen sagt Großmutter:
    - Ihr habt verstanden. Dach und Nahrung müssen verdient werden.
Wir sagen:
    - Das ist es nicht. Die Arbeit ist anstrengend, aber jemand zuzuschauen, der arbeitet, ohne selber was zu tun, ist noch anstrengender, besonders wenn er alt ist. 
    Großmutter feixt:
    - Hundesöhne! Wollt ihr sagen, ihr habt Mitleid mit mir gehabt?
    - Nein, Großmutter. Wir haben uns über uns selbst geschämt.
    Am Nachmittag holen wir Holz im Wald.
    Von nun an tun wir alle Arbeiten, die wir tun können.

Der Wald und der Fluß
    Der Wald ist sehr groß, der Fluß ist ganz klein. Um in den Wald zu gehen, muß man den Fluß überqueren. Wenn er wenig Wasser führt, können wir ihn überqueren, indem wir von einem Stein zum andern springen. Aber manchmal, wenn es stark geregnet hat, reicht uns das Wasser bis zur Taille, und dieses Wasser ist kalt und schlammig. Wir beschließen, eine Brücke aus den Backsteinen und Brettern zu bauen, die wir rings um die zerbombten Häuser finden.
    Unsere Brücke ist fest. Wir zeigen sie Großmutter. Sie probiert sie aus, sie sagt:
    - Sehr gut. Aber geht nicht zu weit in den Wald. Die Grenze ist nah, die Militärs werden auf euch schießen. Und verirrt euch bloß nicht. Ich würde euch nicht suchen.
    Als wir die Brücke bauten, haben wir Fische gesehen. Sie verstecken sich unter den dicken Steinen oder im Schatten der Büsche und Bäume, deren Zweige sich stellenweise über dem Fluß berühren. Wir suchen die größten Fische aus, wir fangen sie und legen sie in die mit Wasser gefüllte Gießkanne. Am Abend, als wir sie ins Haus bringen, sagt Großmutter:
    - Hundesöhne! Wie habt ihr sie gefangen?
    - Mit den Händen. Es ist leicht. Man muß bloß still bleiben und warten.
    - Also, dann fangt viele. Soviel ihr könnt.
    Am nächsten Tag lädt Großmutter die Gießkanne auf ihren Schubkarren und verkauft unsere Fische auf dem Markt.
    Wir gehen oft in den Wald. Wir verirren uns nie; wir wissen, auf welcher Seite sich die Grenze befindet. Bald kennen uns die Wachtposten. Sie schießen nie auf uns. Großmutter bringt uns bei, die eßbaren Pilze von den giftigen zu unterscheiden.
    Aus dem Wald bringen wir Reisigbündel auf dem Rücken mit, Pilze und Kastanien in Körben. Wir stapeln das Holz ordentlich an den Hauswänden unter dem Vordach, und wir rösten Kastanien auf dem Herd, wenn Großmutter nicht da ist.
    Einmal, tief im Wald, am Rand eines großen Lochs, das eine Bombe gerissen hat, finden wir einen toten Soldaten. Er ist noch ganz, nur die Augen fehlen ihm wegen der Raben. Wir nehmen sein Gewehr, seine Patronen, seine Handgranaten: das Gewehr in einem Reisigbündel versteckt, die Patronen und die Handgranaten in unseren Körben, unter den Pilzen.
    Bei Großmutter angekommen, packen wir diese Gegenstände sorgsam in Stroh und Kartoffelsäcke, und wir vergraben sie unter der Bank vor dem Fenster des Offiziers.

Der Schmutz
    Bei uns zu Hause, in der Großen Stadt, wusch unsere Mutter uns oft. Unter der Dusche oder in der Badewanne. Sie zog uns saubere Kleider an, sie schnitt uns die Nägel. Zum Haareschneiden ging sie mit uns zum Friseur. Wir putzten uns die Zähne nach jeder Mahlzeit.
    Bei Großmutter ist es unmöglich, sich zu waschen. Es gibt kein Badezimmer, es gibt nicht einmal fließendes Wasser. Man muß das Wasser aus dem Brunnen im Hof pumpen und es in einem Eimer tragen. Es gibt keine Seife im Haus, auch keine Zahnpasta oder Waschpulver für die Wäsche.
    Alles ist schmutzig in der Küche.
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