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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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Der holprige rote Fliesenboden klebt unter den Füßen, der große Tisch klebt unter den Händen und Ellbogen. Der Herd ist völlig schwarz vor Fett, auch die Wände ringsum, wegen des Rußes. Obwohl Großmutter das Geschirr spült, sind die Teller, die Löffel, die Messer nie ganz sauber, und die Töpfe sind mit einer dicken Dreckschicht bedeckt. Die Putzlappen sind grau und stinken.
    Anfangs mögen wir nicht einmal essen, besonders wenn wir sehen, wie Großmutter das Essen zubereitet, ohne sich die Hände zu waschen, und dabei in ihren Ärmel schneuzt. Später achten wir nicht mehr darauf. Wenn es warm ist, baden wir im Fluß, wir säubern uns das Gesicht und die Zähne am Brunnen. Wenn es kalt ist, ist es unmöglich, sich ganz zu waschen. Es gibt im Haus kein Gefäß, das groß genug ist. Unsere Laken, unsere Decken, unsere Badetücher sind verschwunden. Wir haben den großen Karton, in dem unsere Mutter sie mitgebracht hat, nie wiedergesehen.
    Großmutter hat alles verkauft.
    Wir werden immer schmutziger, auch unsere Kleider. Wir holen saubere Kleider aus unsern Koffern unter der Bank, aber bald gibt es keine sauberen Kleider mehr. Diejenigen, die wir tragen, zerreißen, unsere Schuhe nutzen sich ab, werden löchrig. Wenn es geht, laufen wir barfuß und tragen nur eine Unterhose oder eine Hose. Unsere Fußsohlen werden hart, wir spüren die Dornen und Steine nicht mehr. Unsere Haut wird braun, unsere Beine und Arme sind voller Schrammen, Schnittwunden, Krusten, Insektenstichen. Unsere Nägel, die nie geschnitten werden, brechen ab, unsere Haare, die wegen der Sonne fast weiß sind, reichen uns bis zu den Schultern. Die Toilette ist hinten im Garten. Es gibt nie Papier. Wir wischen uns mit den größten Blättern bestimmter Pflanzen ab.
    Wir riechen nach einer Mischung aus Mist, Fisch, Gras, Pilzen, Rauch, Milch, Käse, Schlamm, Schlick, Erde, Schweiß, Urin, Schimmel.
Wir stinken wie Großmutter.

Übung zur Abhärtung des Körpers
    Großmutter schlägt uns oft mit ihren knochigen Händen, mit einem Besen oder einem nassen Lappen. Sie zieht uns an den Ohren, sie packt uns an den Haaren. Auch andere Leute geben uns Ohrfeigen und Fußtritte, wir wissen nicht einmal, warum.
    Die Schläge tun weh, sie bringen uns zum Weinen. Die Stürze, die Schrammen, die Schnittwunden, die Arbeit, die Kälte und die Hitze verursachen ebenfalls Schmerzen.
    Wir beschließen, unseren Körper abzuhärten, um den Schmerz ertragen zu können, ohne zu weinen. Wir beginnen damit, uns gegenseitig Ohrfeigen zu geben, dann Faustschläge. Als Großmutter unser geschwollenes Gesicht sieht, fragt sie: 
    - Wer war das? 
    - Wir selber, Großmutter.
    - Ihr habt euch geprügelt? Weswegen?
    - Wegen nichts, Großmutter. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist nur eine Übung.
    - Eine Übung? Ihr seid völlig übergeschnappt! Na ja, wenn's euch Spaß macht...
    Wir sind nackt. Wir schlagen uns gegenseitig mit einem Gürtel. Wir sagen jedesmal:
- Es tut nicht weh.
Wir schlagen fester, immer fester.
    Wir halten unsere Hände über eine Flamme. Wir schneiden unsern Schenkel, unsern Arm, unsere Brust mit einem Messer ein und gießen Alkohol auf unsere Wunden. Wir sagen jedesmal: 
    - Es tut nicht weh.
    Nach einiger Zeit spüren wir tatsächlich nichts mehr. Es ist jemand anderes, der Schmerzen hat, es ist jemand anderes, der sich verbrennt, sich schneidet, leidet. Wir weinen nicht mehr.
    Wenn Großmutter wütend ist und schreit, sagen wir zu ihr:
    - Hören Sie auf zu schreien, Großmutter, schlagen Sie lieber.
    Wenn sie uns schlägt, sagen wir zu ihr:
    - Weiter, Großmutter! Schauen Sie, wir halten die andere Backe hin, wie es in der Bibel heißt. Schlagen Sie auch die andere Backe, Großmutter. 
    Sie antwortet:
    - Hol euch der Teufel mit eurer Bibel und euren Backen!

Der Adjutant
    Wir liegen auf der Eckbank in der Küche. Unsere Köpfe berühren sich. Wir schlafen noch nicht, aber unsere Augen sind geschlossen. Jemand stößt die Tür auf. Wir öffnen die Augen. Das Licht einer Taschenlampe blendet uns. Wir fragen: 
    - Wer ist da? 
    Eine Männerstimme antwortet:
    - Keine Angst. Ihr keine Angst. Ihr sein zwei oder ich zuviel trinken?
    Er lacht, zündet die Petroleumlampe auf dem Tisch an und macht seine Taschenlampe aus. Wir sehen ihn jetzt gut. Es ist ein fremder Soldat, ohne Dienstgrad. Er sagt: 
    - Ich sein Adjutant von Oberst. Was ihr hier machen? 
    Wir sagen:
    - Wir wohnen hier. Bei unserer Großmutter.
    - Ihr Enkel von Hexe? Ich euch noch nie
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