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Das Grab des Salomon

Das Grab des Salomon

Titel: Das Grab des Salomon
Autoren: Daniel G Keohane
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erinnern, die durch die Wirklichkeit des schwach erhellten Innenlebens des Busses gleichsam weggeschwemmt wurden. Außerdem interessierten den Mann bestimmt keine Details. Er war bloß höflich.
    »Eigentlich kann ich mich kaum an etwas erinnern. Trotzdem danke.« Drei weitere Köpfe spähten über Rückenlehnen an verschiedenen Stellen vor ihm nach hinten zurück. Ein weiterer Vorteil des Umstands, dass er einen so späten Bus genommen hatte – abgesehen davon, dass er schneller und ohne Verkehr nach Massachusetts gelangte –, waren weniger Passagiere an Bord, die er durch seine Anfälle erschrecken konnte. Abwesend überlegte Nathan, ob er tatsächlich geschrien hatte oder ob das ein Teil des Traums gewesen war. Eigentlich wollte er es gar nicht wissen und erkundigte sich deshalb nicht.
    Der große Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs schaltete die kleine Leselampe über ihm aus und wollte offensichtlich versuchen, wieder einzuschlafen.
    Nathans linke Schulter schmerzte. Der Bursche musste ihn ziemlich heftig geschüttelt haben. Da es für die beobachtenden Köpfe weiter vorne nichts mehr zu sehen gab, verschwanden sie zurück hinter die Sitze. Nathan war wieder allein.
    Er betrachtete sein verschwommenes Spiegelbild im Busfenster, das gelegentlich von entgegenkommenden Scheinwerfern oder einer Straßenlampe entlang der Interstate 95 unterbrochen wurde. Er versuchte, sich Einzelheiten des Traumes in Erinnerung zu rufen und diesmal mehr festzuhalten. Es war sein zweiter Albtraum diese Woche. Einige Details fühlten sich diesmal vertraut an, als hätte er sie schon einmal erfahren. Der Tempel war ihm am deutlichsten im Gedächtnis geblieben, wirkte im wachen Zustand allerdings völlig fremd. Vielleicht hatte er ihn irgendwann in einem Buch gesehen, ohne sich daran zu erinnern. Das Umfeld mutete biblisch an. Allerdings hatte Nathan bereits die drei Versionen der Bibel durchgesehen, die er besaß, ohne auf eine Abbildung zu stoßen, die dem Anblick auch nur nahe kam.
    Diesmal war in dem Traum ein vertrautes Gesicht vorgekommen – zumindest glaubte er das. Sein Vater vielleicht? Auch andere Einzelheiten waren Nathan noch gewärtig, wie der rote Himmel oder die Wüstenlandschaft, doch er kehrte wieder zu jenem flüchtig erhaschten Blick auf Art Dinneck zurück – sofern es sich um ihn gehandelt hatte. Die Züge unter einer Kapuze verborgen war er verloren vor sich hingestapft. Beinah ehrfürchtig. Dieser Teil ergab fast einen Sinn. Nervosität vor der Heimkehr. In wenigen Stunden würde Nathan in Worcester eintreffen. Danach würde eine fünfzehnminütige Taxifahrt in die nördlich gelegene Kleinstadt Hillcrest folgen. Vorerst nicht zum Haus seiner Kindheit, wenngleich er seinen Eltern natürlich später einen Besuch abstatten würde.
    Am nächsten Morgen – eigentlich an diesem Morgen, wie ihm klar wurde – würde Nathan Dinneck die Erste Baptistenkirche von Hillcrest nicht als heimkehrendes Mitglied der Gemeinde betreten, sondern als der neue Pastor. Der verlorene Sohn, der zurückkehrte, wie seine Mutter gerne (und immer wieder) zu sagen pflegte, seit er ihr die Neuigkeit telefonisch mitgeteilt hatte. Er würde der erst zweite Geistliche werden, der in der dreißigjährigen Geschichte der kleinen Kirche seinen Dienst versah. Seine neue Stelle brach so viele Regeln des Auswahlverfahrens für den Pastor einer Gemeinde, dass er halb mit einem großen Schild mit der Aufschrift »Aprilscherz« an der Kirchentür rechnete. Gewiss, dafür war es eigentlich fünf Monate zu spät, dennoch blieb eine nagende Unsicherheit.
    Wäre er älter und erfahrener gewesen, hätte er diese neue Zuweisung vermutlich als weniger unwahrscheinlich empfunden. Doch auf seinen Schultern lasteten die Worte Jesu, dass ein Prophet im eigenen Land nie willkommen war. Tatsächlich galten jene Worte häufig als Norm, anhand der Kirchenälteste zahlreiche Entscheidungen trafen. Zumindest bisher, wie es schien.
    Andererseits hatte Pastor Hayden persönlich Nathan zu seinem ersten Vorstellungsgespräch eingeladen. Der alte Mann freute sich auf den längst überfälligen Ruhestand. Sein schwindendes Augenlicht und die chronische Arthritis forderten letztlich ihren Tribut. Als Oberhaupt des Auswahlkomitees hatte er den ersten Anruf getätigt. Nathan hatte zu jenem Zeitpunkt als Kaplan in einer großen Gemeinde etwas außerhalb von Orlando gedient, die sich völlig von der kleineren, intimeren Gemeinschaft der Baptistenkirche von Hillcrest
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