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Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Titel: Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Autoren: S. Fischer-Fabian
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Millionär ist ein
Millionär, will sagen, daß mir während meiner langjährigen Tätigkeit noch kein
Schiffsoffizier begegnet ist, der Millionär war.« Er fügt hinzu: »Es sei denn,
er hätte geerbt.«
    »Nein, viel zu erben ist nicht
bei der christlichen Seefahrt, John. Vom Rheuma abgesehen.« Er beugt sich über
das Kinderbett. »Dir wird es trotzdem gut gehen, Aphrodite.«
    »Ihr Fräulein Tochter heißt
Aphrodite, Sir? Was für ein schöner Name. Aphrodite, die Göttin der Schönheit,
das ist fürwahr...« Oberhalb der Tür flammt ein Leuchtzeichen auf.
    »Für Sie, John?«
    »Man läutet nach mir, Sir«,
sagt der Butler, obwohl man nach ihm geleuchtet hat. Er verbeugt sich und begibt
sich unverzüglich, doch ohne Hast in den Konferenzsaal.
     
    »Die Werte von Miß Erika
Radke«, sagt die Hausdame und reicht dem Notar das Kuvert Numero 2.
    »Nach den unter Aufsicht zweier
vereidigter Zeugen vorgenommenen Messungen der Miß Erika Radke«, beginnt der
Notar sein Sprüchlein, »ergeben sich folgende Maße: Busen gleich 90. Taille
gleich 60. Hüfte..., hm, Hüfte gleich 92.«
    »92?« fragt Erika.
    »92, Miß Radke.«
    »Gestern waren es noch 90«,
meldet sich ihre Mutter. »Ich habe es selbst gemessen, und wenn etwas stimmt,
dann ist es mein Bandmaß.«
    »Heute sind es aber 92, Mrs.
Radke. Im übrigen habe ich nicht die Absicht...«
    »Was haben Sie nicht, Mister?«
Erika baut sich vor dem Notar auf. Ihre Stimme klingt schrill. »Sie haben nicht
die Absicht, uns das Erbe auszuliefern, aha! Wegen lumpiger zwei Zentimeter,
aha! Sind Sie verkalkt, Mister, sind Sie blind wie ein Huhn, oder sehen Sie
nicht, was für eine Idealfigur ich habe?«
    Sie dreht sich mit gekonntem
Schwung um die eigene Achse, sie drückt den Unterleib nach vorn, schreitet über
einen imaginären Laufsteg. Füße leicht auswärts, Unterkiefer leicht
vorgeschoben, hochmütiger Blick ins Publikum, Lider leicht gesenkt, Dame, ganz
Dame, so hat sie es in der Frankfurter Mannequinschule gelernt, mein Gott, was
sind wir vornehm.
    Der Notar kneift die Augen zu,
öffnet sie wieder, träumt er, er träumt nicht, gibt es so was, es gibt so was:
damals, vor einem Jahr, da war die warm und weich und mollig und hatte so
herrlich sanfte Kurven, daß jeder Mann dort gern einmal eingebogen wäre, da war
viel Frau, viel Sex, ein Busen, an dem man sich nächtelang hätte ausweinen
können, ein Becken, das nach Kindern schrie, und eine Portion Mütterlichkeit,
mit der man ganze Waisenhäuser hätte versorgen können.
    Jetzt ist die so dürr, daß dagegen
ein Dior-Mannequin wie eine Venus von Rubens wirkt, und so eckig in den
Schultern, und die Salznäpfchen links und rechts vom Hals, alles so mickrig und
zickig, das Make-up zu stark, das karierte Jerseykostüm etwas zu kariert, wenn
sie lacht, lacht sie etwas zu laut, die Bewegungen sind hektisch, an ihren
Wangen sieht man, daß sie ständig mit den Zähnen mahlt, Draculas Tochter, eine
Spottgeburt, im Grunde genau jener Typ, den— Idealmaße hin, Idealmaße her— Mrs.
Hold nicht gemocht hätte, denn wo war hier Harmonie, wo war die Schönheit des
Körpers, wo die Schönheit der Bewegung?
    »Miß Radke«, sagt der Notar,
»ich wollte vorhin...«
    Aber Miß Radke ist nicht mehr
zu bremsen. Sie geht auf das Bücherregal zu, schnappt sich einen Band der
Enzyklopaedia Britannica (Band XX, Sars bis Sore, legt ihn sich auf den Kopf
und schreitet damit auf und ab und ab und auf, ohne daß der Band auch nur ins
Wackeln gerät. Sie bleibt an der Stelle stehen, wo der Notar sitzt und wo
Stutterbold sitzt, sie fragt: »Was sagen Sie nun, meine Herren?«
    Einer der Herren kann nichts
mehr sagen. Band XX Sars bis Sore ist langsam über ihren Scheitel abwärts
geglitten und schlägt mit dem Gewicht seiner vier Komma fünf Kilo auf James P.
Stutterbolds mit schütterem Haar bedeckten Kopf.
    Beklommenes Schweigen ringsum,
das nach einer Weile von einem dünnen, klagenden Gejammer unterbrochen wird. Es
ist nicht James P., der da jammert (James P. sieht Sterne, sieht ganze
Milchstraßen), es ist Erika, die mit hängenden Schultern an ihren Platz
zurückgeht, von ihrer Mutter getröstet und von Trixi getröstet, aber Erika ist
einfach untröstlich.
    »Miß Radke«, sagt der Notar
nach einer Schweigeminute, »ich wollte vorhin sagen, daß ich nicht die Absicht
hatte, mich mit Ihnen wegen zweier Zentimeter zu streiten. Zwei Zentimeter
zuviel sind wenig, wenn es um Schönheit geht und Harmonie. Beides jedoch mußten
wir bei
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