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Das Gold des Columbus

Das Gold des Columbus

Titel: Das Gold des Columbus
Autoren: Christa-Maria Zimmermann
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werden mussten. In diesen Corrales wohnten mehrere hundert Menschen eingepfercht wie in Hühnerkäfigen. Trotzdem wuchs die Zahl der Zuwanderer unaufhörlich und die Vorstädte außerhalb der Mauern weiteten sich aus.
    Pablo balancierte den Holzspieß mit den gegrillten, dampfenden Sardinen zwischen beiden Händen, ging langsam an den Schiffen vorbei und musterte sie. Die Marigalante war nicht dabei. Am Ende des Strandes erhob sich der Hafenkran, von dessen Brüstung aus man den Lauf des Guadalquivir bis zur nächsten Biegung verfolgen konnte. Pablo kletterte hinauf.
    »Verpiss dich!«, sagte er grob, und Sancho, ein magerer Zehnjähriger, machte ihm hastig Platz.
    Die Brüstung war Pablos Stammplatz und jeder Straßenjunge von Sevilla wusste das, auch Sancho. Miguel hatte seinem Bruder ein paar sehr wirkungsvolle Fausthiebe beigebracht und keiner legte sich ohne Not mit Pablo an. Pablo war zwar noch keine dreizehn, aber er war der Anführer einer ganzen Horde von Halbwüchsigen aus den Corrales in der Nachbarschaft des Celler , obwohl es einige Jungen gab, die schon vierzehn waren. Doch Pablo rannte am schnellsten, kletterte am höchsten, schwamm und tauchte wie eine Ente - und er erfand die besten Streiche.
    Pablo verzehrte die erste Sardine. Sie war ziemlich angekohlt, aber so mochte er sie am liebsten. Er spuckte Sancho die Schwanzflosse nach. Sie traf ihn im Nacken, aber er merkte es nicht, denn sein Hals war von einer dicken Schmutzkruste überzogen. Die nächsten Flossen blieben in Sanchos zerlumpter Jacke hängen. Pablo gab das Spucken auf und setzte sich bequemer zurecht. Die Frühlingssonne wärmte seine bloßen Füße, in seinem Rücken ertönten die knarrenden Geräusche der riesigen hölzernen Räder, mit denen der Kran bewegt wurde, und die Stimmen der Männer, die in den Speichen standen wie Hamster im Laufrad.
    Pablo legte den Kopf in den Nacken. Hoch über ihm ragte auf einer Ecke der Stadtmauer der mächtige Torre del Oro 6 empor, der seinen Namen den goldglänzenden Dachschindeln verdankte. Der Junge musterte den Fluss, aber kein Schiff tauchte in der Biegung auf. Er ließ seine Blicke die Stadtmauer entlang laufen und dann über den breiten Sandstrand zu ihren Füßen.
    Maultiere schleppten Lasten von den Schiffen zu den Stadttoren oder aus der Stadt zu den Schiffen, angetrieben von schreienden Treibern. Reiche Herrschaften ließen sich in Sänften heraustragen, gefolgt von Lastträgern mit Gepäck. Arme Passagiere verschwanden fast unter den Bündeln, die sie sich aufgeladen hatten. Kalfaterer hockten neben den Schiffsrümpfen und dichteten die Fugen mit Werg und Teer. Matrosen stapelten Ballen und Kisten aus den Schiffsrümpfen an Deck oder wuchteten sie an Land.
    Längs der Stadtmauer breitete sich ein Trödelmarkt aus. Hier verkauften Händler blanke Messer und Dolche, angeblich aus feinstem Toledo-Stahl. Hausiererinnen priesen bunte Seidentücher und Spitzenschals an, denen angeblich kein Frauenherz widerstehen konnte. Bauern hatten Sonnensegel über ihre Obstund Gemüsekarren gebreitet. Fischer schleppten Körbe mit frischem Fang zu den Fischhändlern oder zu den Kohlebecken der Garküchen.
    Von den Decks der Schiffe ertönten auf einmal gellende Pfiffe und Rufe, die den allgemeinen Lärm übertönten.
    »Schaut euch den Kerl an!«
    »Gleich wirst du bluten, du Hundsfott!«
    »Das geschieht dir recht!«
    Die Menschen am Ufer unterbrachen ihre Tätigkeiten. Alle Köpfe wandten sich dem Soldaten in der Uniform der städtischen Garde zu. Er trieb einen Esel vor sich her, auf dem ein Mann mit nacktem Oberkörper festgebunden war. Die bloßen Füße, die weiten, knielangen Hosen, die rote Mütze verrieten den Matrosen. Er trug einen Strick um den Hals und hielt den Kopf gesenkt. Jeder Mensch im Hafen wusste bei diesem Anblick, dass der Mann gestohlen hatte und zur öffentlichen Auspeitschung vor das Gefängnis außerhalb der Stadtmauer gebracht wurde. Der Ritt an den Schiffen vorbei sollte zur allgemeinen Abschreckung dienen und den Zuschauern Gelegenheit geben, den Dieb zu verspotten.
    »Soll ich herausbringen, wie viele Schläge er kriegt?« Sancho betrachtete sehnsüchtig die letzte Sardine an Pablos Holzspieß. »Wenn es nur zwanzig sind, dann lohnt es sich nicht, hinter ihm herzulaufen.«
    »Ja, tu das.« Pablo bemerkte den Blick, brach den Fisch durch und warf Sancho die Hälfte zu. Dass er immer bereitwillig mit allen teilte, war auch ein Grund für Pablos Beliebtheit.
    Sancho stopfte sich
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