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Das Gluecksarmband

Das Gluecksarmband

Titel: Das Gluecksarmband
Autoren: Holly Greene
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um ihr Gesicht zu zeigen. Heute hätte es eigentlich bedeckt sein müssen, regnerisch, richtig düster. Das Wetter hätte zu ihrer Stimmung passen sollen, zu dem, was in ihrem Leben geschehen war.
    Schließlich setzte sie sich auf, schwang die Beine über die Bettkante, stellte die Füße auf den Boden und ging zum Fenster. Sie schaute auf den Rasen vor ihrem Elternhaus hinunter. Auf dem kleinen Fleckchen Gras drängten sich die Trauernden, und mitten in der Menge entdeckte sie ihre Mutter. Mollys Herz wurde ein wenig weicher, als sie Eileens Gesicht mit den tiefen Kummerfalten sah. Es war nicht zu leugnen, dass auch sie litt. Dabei war ihnen schon eine ganze Weile klar gewesen, dass es wahrscheinlich so ausgehen würde. Mit dem Krebs und so.
    Molly wusste, dass sie eigentlich hinuntergehen und ihrer Mutter beistehen sollte. Oder zumindest sollte sie Sarah zur Hand gehen, einer Nachbarin, die angeboten hatte, heute in der Küche auszuhelfen. Sarah kümmerte sich um die Unmengen von Essen, die die Leute mitgebracht hatten. Aufläufe und Gemüseplatten und Kuchen … Molly war es ein Rätsel, warum die Leute Begräbnisse zum Anlass nahmen, sich die Bäuche vollzuschlagen. Sie selbst hatte in ihrem ganzen Leben noch nie so wenig Hunger verspürt.
    Gerade wollte sie vom Fenster zurücktreten und sich wieder ins Bett verkriechen, da schaute ihre Mutter zu ihrem Zimmer hoch, und ihre Blicke trafen sich. Ein schwaches Lächeln umspielte Eileens Mundwinkel. Sie hob leicht die Hand, als wolle sie Molly ermutigen, nach unten zu kommen und sich zu den Lebenden zu gesellen. Molly begriff nicht, wie eine so einfache Geste eine derartige Beklemmung bei ihr auslösen konnte. Es war ein Gefühl, als wäre ihr Herz in einen Schraubstock eingespannt worden. Sie wusste, dass sie all diesen Menschen wieder gegenübertreten musste, aber sie wollte nicht. Der Kummer und die Beerdigung waren schon schlimm genug, auch ohne dass sie sich fragte, was die Menschen um sie herum wohl insgeheim dachten.
    Schließlich verließ sie trotzdem ihr Zimmer und stieg die Treppe des winzigen Hauses hinunter. Ihr war bewusst, dass ihre Schritte auf dem bloßen Holzboden zu hören waren und allen verkündeten, dass sie aufgestanden war. Wahrscheinlich warteten die Leute unten schon auf sie und wollten mit ihr reden und sie in die Arme nehmen und ihr sagen, wie lieb Seamus sie gehabt hatte.
    Seamus – ihr Vater. Ein Mann, der viel zu jung gewesen war, zu lebendig, zu energiegeladen und zu tatkräftig, um plötzlich zwei Meter unter der Erde in einem Sarg zu liegen. Aber so war es. Molly kniff sich in den Nasenrücken, als könne sie damit die Tränen wieder hinter ihre Augen zurückdrängen, doch das funktionierte nicht. Zwei große Tropfen rollten ihr über die Wangen. Sie wischte sich gerade mit dem Ärmel übers Gesicht, als Sarah aus der Küche in den kleinen Flur hinaustrat.
    «Ach, Molly, mir war doch, als hätte ich dich runterkommen hören.»
    Sarah sah die Tränen auf Mollys Gesicht, sah ihr Leid und zerfloss vor Mitgefühl.
    «Komm mal her, Liebes, komm her», sagte sie sanft und schloss Molly in die Arme. «Na, na, weine nicht. Ich weiß, dass es wehtut. Es tut furchtbar weh. Wir werden ihn alle vermissen.»
    Molly nickte schmerzerfüllt, und lehnte den Kopf an Sarahs Schulter. «Jetzt komm, mein Kind. Du brauchst etwas zu essen. Du musst doch Hunger haben.» Essen. Sarahs Lösung für alle Probleme. Trotz allem musste Molly lächeln, aber sie schüttelte den Kopf. «Ich bin eigentlich nicht hungrig.»
    «Natürlich bist du hungrig.» Sarah ließ sich nicht beirren. «Ich habe dich den ganzen Tag noch nicht essen sehen. Ach, und das hätte ich fast vergessen, in der Küche liegt ein Päckchen für dich.»
    Molly schaute auf. «Ein Päckchen?»
    Sie hatte die Post angenommen, um die Beileidskarten noch vor ihrer Mutter sichten zu
können. Es war faszinierend, was für Karten kamen.
Mit allen guten Wünschen, wir beten
für Euch …
Die Karten waren so dumm, und Molly verstand, warum sie ihre Mutter noch
trauriger machten. Sie selbst wurde einfach wütend, wenn sie diesen Schwachsinn las. Sie
wünschte sich eine Karte, auf der die Wahrheit stand:
Das Leben ist Scheiße, es ist total ungerecht,
oder
Ich habe keine Ahnung, was ihr durchmacht, aber ich bin froh, dass es mir nicht passiert ist.
    Sarah zuckte die Achseln und ging in die Küche. «Ja. Es ist vorhin abgegeben worden.»
    «Bist du sicher, dass es nicht für meine Mutter ist? Alles andere
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