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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Autoren: Hermann Hesse
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gesetzt wird, Kreativität und individuelle Alleingänge jedoch als Gefahrenquelle beargwöhnt werden. Von diesem Vorbehalt ausgenommen sind die Imaginationsübungen der sogenannten Lebensläufe, die den Studenten am Ende jedes Studienjahres abverlangt werden. Dabei ist es ihre Aufgabe, sich die Entwicklung ihrer Veranlagung unter den verschiedenen Bedingungen und Einflüssen anderer Zeitalter und Kulturen vorzustellen. Sie hatten sich dabei »in das geistige Klima einer früheren Epoche zu versetzen und sich darin eine entsprechende Existenz auszudenken . . . Bei den Philologen war es Sitte geworden, daß sie ihre Lebensromane in der Sprache und dem Stil des Landes und der Zeit abfaßten, in welchen sie spielten . . . Es lebte ein Rest des alten asiatischen Wiedergeburts- und Seelenwanderungsglaubens in dieser freien und spielerischen Form fort; allen Lehrern und Schülern war die Vorstellung geläufig, daß ihrer jetzigen Existenz frühere vorangegangen sein könnten in anderen Körpern, zu anderen Zeiten, unter anderen Bedingungen.« Bei diesem Vertauschen des Stabilen mit dem Fließenden, des Gegebenen mit dem Denkbaren lerne man »die eigene Person als Maske, als vergängliches Kleid« und die noch ungenutzt schlummernden Entfaltungschancen kennen. Die kastalischen Erzieher sahen darin außerdem ein willkom
menes Ventil zur Entladung des in der Jugend besonders starken dichterischen Ausdrucksbedürfnisses. Darüber hinaus war für die Studenten das Erfinden solcher Lebensläufe nicht nur eine Stilübung und Gelegenheit zur Verwertung ihrer historischen Studien, sondern auch ein Instrument zur Selbsterkenntnis und Darstellung eigener Wünsche und Möglichkeiten. Dies trifft auch auf die von Josef Knecht verfaßten drei Lebensläufe zu. Ahnungsvoll nimmt er darin Konstellationen seiner künftigen Entwicklung vorweg.
    In der ersten dieser Phantasiebiographien versetzt er sich selbst in die prähistorische Zeit vor etwa 20 000 Jahren zurück, in die matriarchalische Welt eines primitiven Menschenstammes, wo er sich als Wetter- und »Regenmacher« so lange behaupten kann, wie es ihm glückt, sein Dorf vor Unheil zu bewahren. Doch als sich die Dämonen gegen ihn verbünden und ihn daran hindern, die Dürrekatastrophe abzuwenden, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich der Gemeinschaft zum Opfer zu bringen und den Tod in Kauf zu nehmen, um seinen Stamm von dem Fluch zu erlösen und seinem Nachfolger Turu den Weg frei zu machen.
    Auch der zweite dieser fiktiven Lebensläufe variiert ein Motiv von Knechts künftigem Werdegang, das Meister-Schülerverhältnis und den Dienst am Nächsten. Er begibt sich diesmal in die Rolle eines
frühchristlichen Asketen und Einsiedlermönches, der im südlichen Palästina des dritten oder vierten Jahrhunderts als »Beichtvater« großes Ansehen genießt, dem aber der Sinn seiner Tätigkeit immer zweifelhafter wird, so daß es dem Seelsorger bald ähnlich ergeht wie Knecht selbst in seinen letzten Amtsjahren als Leiter des immer unsozialer werdenden Ordens der Glasperlenspieler. Er verläßt seinen Posten, um seine Skrupel einem 10 Jahre älteren und scheinbar weiseren Kollegen zu bekennen, dem jedoch ganz ähnliche Zweifel zu schaffen machen.
    Der dritte und letzte in das Buch aufgenommene Lebenslauf, den Hesse seinen Josef Knecht etwa im Alter von dreißig Jahren schreiben läßt, spielt im hinduistischen Indien. Wie Knecht selbst, muß der Fürstensohn Dasa (so lautet die Bezeichnung für »Knecht« im Sanskrit) erkennen, daß er für die Politik und Übernahme der Regierungsgeschäfte ungeeignet ist, denn auch ihm ist es unmöglich, der Gewaltanwendung seiner politischen Feinde mit Gewalt zu begegnen. Diese Inkarnation Josef Knechts entstand 1936 und spiegelt so unmittelbar wie kein anderer der Lebensläufe Hesses eigene Situation, wie er damals, angefeindet von der Presse der Nationalsozialisten und zugleich von den Wortführern der Emigration, im Kreuzfeuer der Polemik unbeirrbar an seinem Standpunkt einer überparteilichen Menschlichkeit festzuhalten versuchte.
     
    Die fiktiven Lebensläufe Josef Knechts sind früher entstanden als der Hauptteil des Buches mit seiner in zwölf Kapiteln geschilderten Biographie. Hesse schrieb sie in den Jahren 1934-1937. Nach Hesses ursprünglichem Plan sollte das Buch (außer der Einführung und der Gedankenlyrik von Knechts Gedichten) nur aus solch fiktiven Lebensläufen bestehen, zu welchen sich in seinem Nachlaß noch zwei
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