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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Autoren: Hermann Hesse
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unbrauchbar zu sein ist der einzige Dienst, den die Künstler und ihre Kunst der öffentlichen Kultur erweisen können – auch der Politik. Der Träger und Übermittler dieses Dienstes ist immer nur der einzelne, nie eine Gesellschaft, nie ein System – selbst der Machthaber gelangt nur als einzelner daran. Hinter dem Glasperlenspiel steht das Projekt einer umfassenden Vernetzung des Wissens, sozusagen eine ökologische Expedition größten Stils. Auf diesem Boden, den nicht Reaktionäre, den die wirkliche Avantgarde der Literatur gegen die Industriegesellschaft und den Weltmarkt verteidigt hat, ist ein Ort wie Kastalien angesiedelt: keine Fluchtburg der Harmlosigkeit, sondern ein Stützpunkt lebensrettender Phantasie, ein Laboratorium, Erinnerungen gegen die prometheische Hybris der Selbstzerstörung. Hesse, traditionell, ja altmodisch in sei
nen stilistischen Mitteln, war hochmodern in seinem Verständnis für ihren Widerstandsgeist. Die Kunst der Korrespondenz, Novalis' Baustelle eines neuen Universums, war für Hesse keine Metapher, er hat sie praktiziert als Briefschreiber auf Kosten seiner Bequemlichkeit, seiner Augen, auch seiner eigenen Muße zur Literatur. Es ist ihm nicht eingefallen, à la Tonio Kröger die Kunst gegen das Menschliche, den Bürger gegen den Künstler auszuspielen – im Gegenteil. Er hat Ratsuchenden gezeigt, wie sie bei sich selbst Rat finden konnten. Die persönlichste Hilfe hat er dadurch geleistet, daß er das Bescheidwissen verweigerte; er hat Wege geöffnet, indem er die Nachfolge Hesses verbot. Dies war sein Engagement: daß er sich für kein Programm engagieren ließ, keinen Zement für eine Weltanschauung lieferte. So und nur so glaubte er etwas zur Verbesserung der Welt beizutragen: indem er jeden, der sie auf seine Fahne geschrieben hatte, erst zur Arbeit an sich selbst ermutigte. Am Ende konnte er die Fahne entbehren. Hesse war ein Meister im Sinn des Tao: er spricht, damit sich der Schüler selbst versteht; spricht er dem Meister aber nach, so hat er nichts verstanden. Hesses Schriften sind Wittgensteinsche Leitern; ist die Mauer erstiegen, werden sie nicht mehr benötigt. Vielleicht besteht seine dauerhafte Überzeugungskraft gerade darin, daß er ein verunsicherbarer Zeitgenosse war, ein labiler Partner, ein depressiver Zweifler
an sich selbst. Sein Lebenswerk bestand darin, sich selbst zu überholen. Eben so ist es nicht überholbar.
     
    Aus dem Essay »Hermann Hesse und das Engagement«, 1992
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