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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz
Autoren: Virginia Doyle
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der Junge entführt wurde.«
    Pistoux sah Niemand auffordernd an. Der begann hastig zu erzählen.
    »Es war nachmittags, als ich allein in der Backstube war. Da kam plötzlich dieser Mann herein. Ich war ganz überrascht, denn ich kannte ihn schon. Er fragte nach dem Bäcker. Ich sagte, er sei nicht da. Und dann wollte ich weglaufen. Da hat er mich festgehalten und gefragt, warum ich Angst hätte. Er hat mir wehgetan. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich ihn kenne … dass er zusammen mit dem Gewürzhändler die Leiche in den Stadtgraben gelegt hat … und dass er der Mörder von Staub ist. Da hat er mich mitgenommen und zum Gewürzhändler gebracht, der mich dann in den Turm sperrte.« Niemand sah zu Boden. »Ich hatte furchtbare Angst.«
    Schweigend aßen sie weiter.
    Nachdem sie fertig waren, brachten die Kinder das schmutzige Geschirr in die Küche, und Pistoux servierte den Nachtisch: Es war eine Eiscreme » Plombière « , bestehend aus einem Kranz aus Mandeleis, der mit heißer Aprikosenkonfitüre übergossen und mit Schlagsahne gefüllt wurde. Alle waren begeistert und lobten den Koch.
    Dann wurde es Zeit, die Geschenke auszupacken, die unter dem Christbaum warteten.
    Bäcker Dunkel und seine Frau hatten sich nicht lumpen lassen. Die Kinder bekamen neue Mützen, Handschuhe, Schals und Schuhe. Pistoux war plötzlich wieder stolzer Besitzer eines kompletten Messersets, wie es ein echter Koch immer im Etui bei sich trug. Sogar der Inspektor bekam etwas, einen Zylinder, damit er bei offiziellen Anlässen nicht seinen alten fleckigen Homburg tragen musste.
    »Ich möchte gern«, sagte Bäckermeister Dunkel dann zu Pistoux, »dass du bleibst, Jacques. Ich habe Großes vor. Im Gefängnis ist mir klar geworden, dass das Leben zu kurz ist, um kleine Brötchen zu backen.« Er lächelte zaghaft. »Ich will das tun, was Schaller vorhatte – Lebkuchenfabrikation im großen Stil, und weltweiter Vertrieb noch dazu –, aber mit guter, handgemachter Ware. Ich brauche einen Geschäftspartner, Jacques.«
    Pistoux schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht bleiben. Außerdem bin ich Koch, kein Bäcker. Die Innung …«
    »Ach was … das regeln wir.«
    »Mein Entschluss steht fest, ich gehe nach Hamburg.«
    Dunkel ließ entmutigt die Schultern sinken.
    »Aber Sie haben doch vier neue Lehrlinge«, sagte Pistoux. »Mit denen können Sie ein ganzes Imperium aufbauen.«
    Dunkel zog die Augenbrauen hoch. »Die Kinder?«
    »Sie brauchen ein Heim und Arbeit und Brot.«
    Frau Dunkel blickte ihren Mann an und lächelte leise: »Friedrich, wir müssen dankbar sein. Es ist uns eine große Aufgabe zugefallen.«
    »Ja, aber …«, zögerte der Bäcker.
    »Wir verraten euch auch unsere richtigen Namen«, sagte das Mädchen plötzlich.
    »Ja«, sagten die Jungen.
    Der Bäckermeister drehte sich zu ihnen um: »Wie heißt ihr denn?«
    Das Mädchen deutete auf Keiner: »Das ist Caspar. Und Niemand heißt Melchior.« Sie stockte und blickte Schwarz verschmitzt an. »Deinen Namen kann ich mir nicht merken.«
    Der Junge stöhnte: »Dann bin ich eben Balthasar.«
    »Caspar, Melchior und Balthasar?« Frau Dunkel war jetzt ziemlich verwirrt.
    »Und du? Wie heißt du?«, fragte der Bäcker das Mädchen.
    »Ich bin Maria«, sagte das Mädchen.
    »Jesus!« Frau Dunkel schlug die Hände zusammen.
    Alle lachten.
    »Nun gut, ich nehme euch in die Lehre«, sagte Dunkel.
    »Dann lasst uns jetzt ein Lied singen!«, rief Frau Dunkel.
    Sie begann »Stille Nacht, Heilige Nacht« anzustimmen.
    Die Kinder sangen mit.
    Pistoux und der Inspektor sahen sich kurz an. Sie spürten, dass sie sich jeder auf seine Art einsam fühlten. Beide wandten ihre Blicke dem Weihnachtsbaum zu. Inspektor Wanner dachte an seine verstorbene Frau und an die schöne Hedwig. Pistoux fragte sich, wann er wohl wieder auf Wanderschaft gehen konnte. Er war sich schon jetzt ziemlich sicher, dass Hamburg nicht seine letzte Station sein würde.
    Als sie alle Lieder gesungen hatten, die Frau Dunkel in den Sinn kamen, saßen sie fröhlich beieinander, und jeder erzählte eine Geschichte aus seinem Leben.
    Irgendwann ging Pistoux in die Backstube und brachte einen Teller mit schokoladenüberzogenen zylindrischen Gebäckstücken.
    »Oho, was haben wir denn da?«, fragte Friedrich Dunkel und leckte sich die Lippen.
    »Das Rezept kam mir in den Sinn, als ich darüber nachgedacht habe, was wohl das Geheimnis ihres Elisenlebkuchens sein könnte.«
    »Und?«, fragte der Bäckermeister gespannt.
    »Marzipan«,
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