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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz
Autoren: Virginia Doyle
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Einspänner und schlug ungeduldig mit dem Knauf seines Spazierstocks auf die linke Handfläche. Das Verdeck war nach hinten geschoben, obwohl dünne Schneeflocken vom Himmel herunterfielen. Inspektor Wanner stieg in die Kutsche und ließ sich auf den gepolsterten Sitz neben dem Oberrat fallen.
    »Sie werden doch wohl nicht mit einem blutbesudelten Handtuch durch die Stadt fahren wollen, Inspektor«, sagte Schreiber.
    Wanner bemerkte erstaunt, dass er noch immer das Handtuch gegen die Wange gepresst hielt. Er besah sich den fleckigen Stoff. Die Blutung hatte noch nicht aufgehört, aber deutlich nachgelassen. Er warf das Handtuch aus der Kutsche.
    Oberrat Schreiber klopfte dem Kutscher mit dem Stockknauf gegen den Rücken. Der Kutscher schnalzte mit der Zunge, die Kutsche ruckte nach vorn.
    Schweigend saßen sie nebeneinander. Die Räder der Kutsche knirschten auf dem unebenen Pflaster. Mal ging es ein wenig bergauf, dann wieder bergab, dann um eine enge Kurve, Richtung Burg. Wanner traute sich nicht, den Oberrat nach dem Grund für diesen morgendlichen Ausflug zu fragen. Er wusste, dass Schreiber ihn für einen Bauerntölpel hielt. Warum sonst hätte man den Inspektor von München nach Nürnberg zwangsversetzen sollen? Wanner war ja selbst der Ansicht, dass er diese Versetzung verdient hatte. Immer noch besser Nürnberg als irgendein kleines Kaff in seiner oberbayerischen Heimat. Aber ehrlich gesagt war ihm Nürnberg zu eng. Er hatte ständig das Gefühl, er müsse seine Arme dicht am Körper halten, wenn er durch die Gassen ging. Wenn er sich streckte, würde er womöglich eine morsche Hauswand einreißen. Verdammtes Nürnberg! Diese Stadt war einfach nicht für Menschen mit seiner Statur gebaut worden.
    »Sie werden Ihre nächtlichen Kontrollgänge einstellen«, sagte der Oberrat plötzlich. Nanu, dachte Wanner, werde ich degradiert? Hat jemand es trotz meiner nächtlichen Streifzüge geschafft, die elektrische Beleuchtung auf dem Hauptmarkt zu sabotieren? Bin ich wirklich ein Versager? Schicken sie mich jetzt vielleicht doch nach Oberbayern?
    »Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein in dieser Angelegenheit«, sagte der Oberrat.
    Welche Angelegenheit?, fragte sich Wanner. Aber er traute sich nicht, zu fragen.
    »Es passt nicht in die Adventszeit, dass solche Dinge passieren«, murmelte der Oberrat vor sich hin.
    Sprach er nur mit sich selbst, oder erwartete er eine Antwort?
    »Der Stadtrat ist in Sorge.« Jetzt sprach der Oberrat noch leiser. »Es darf kein Schatten auf den Christkindlesmarkt fallen«, murmelte er, »kein Schatten.«
    Es ist doch etwas mit der elektrischen Beleuchtung geschehen, dachte Wanner. Und mich werden sie zur Verantwortung ziehen.
    Sie erreichten das Westtor, wandten sich nach links und fuhren direkt an der Stadtmauer entlang Richtung Fürther Tor. Rechts von ihnen erhob sich die massive Steinwand der Stadtbefestigung, auf der linken Seite duckten sich verwinkelte, ineinander verkeilte Häuschen, als würden sie Schutz hinter der Mauer suchen. Sie passierten das Fürther Tor, erreichten das Spittlertor und hielten direkt vor dem mächtigen Turm, der hier drohend die Stadtmauer überragte.
    Der Kutscher stieg ab und öffnete die Wagentür. Oberrat Schreiber kletterte aus dem Wagen und erklomm über eine überdachte schmale Steintreppe den Wehrgang. Schreiber ging so schnell, dass Wanner kaum einen Blick durch die Scharten der Brustwehr nach draußen werfen konnte. Dann erreichten sie einen Wehrturm, und plötzlich kletterte der Oberrat durch eine Öffnung des halb zerfallenen Mauerwerks nach draußen.
    Als Wanner die zerborstene Lücke in der Turmmauer erreichte, bemerkte er, dass von hier oben eine Leiter nach unten in den Stadtgraben führte. Schreiber war schon unten angelangt und lief auf zwei Männer zu, die unter einem kahlen Baum standen. Wanner zögerte. Dort unter dem Baum standen ein uniformierter Polizist und ein Mann in Zivil. Sie schauten zu Boden. Nun trat der Oberrat zu ihnen, blieb stehen und blickte ebenfalls zu Boden. Irgendetwas Interessantes musste dort im Gestrüpp liegen.
    Jetzt sah der Oberrat auf und starrte zum Turm hoch. Wanner seufzte und setzte einen Fuß über die Mauer hinweg. Er stieg die Leiter hinab und trat auf das feuchte, glitschige Gras. Beinahe wäre er ausgerutscht. Er lief einen kleinen Trampelpfad entlang, der ihn zu den Männern unter dem Baum führte.
    Als er neben Schreiber stand, blickte er wie die anderen zu Boden. Unwillkürlich hob er die
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