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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz
Autoren: Virginia Doyle
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zurück.
    Der Bäcker hatte sich derweil in einer Ecke an einem anderen Teig zu schaffen gemacht, nachdem er den ersten in Kuchenformen gesetzt und zum Gehen warm gestellt hatte. Seine Frau bediente derweil vorn im Laden eine Kundin.
    Pistoux wartete. Endlich drehte sich der Bäckermeister um und warf einen Blick auf Pistoux’ Plätzchen.
    » Vanillekipferl und Linzer Plätzchen, schön, schön.« Mit schlurfenden Schritten kam er näher. Pistoux bemerkte eine Andeutung von Neugier auf seinem Gesicht.
    Der Bäcker griff nach einem Kipferl. Es zerbrach.
    »Na, recht mürbe sind sie ja geworden«, sagte er und griff nach einem zweiten. Er besah sich die Halbmondform und murmelte: »Ganz hübsch.« Dann aß er es auf.
    Dunkel griff nach einem Linzer Plätzchen. Wieder biss er ein Stück ab, kaute und schluckte. Dann besah er sich ein zweites Plätzchen und schüttelte den Kopf.
    »Sie hätten nur nicht den Zucker darüber streuen dürfen. So sieht’s nicht wirklich hübsch aus.«
    Pistoux ärgerte sich. Er hätte darauf achten müssen, dass das Gelee-Auge in der Mitte nicht bestäubt wird. Ein Anfängerfehler!
    Der Bäcker biss ins zweite Plätzchen und sagte: »Trotzdem, das sind die besten Linzer, die ich je gegessen habe.« Er stopfte sich das ganze Plätzchen in den Mund und sagte noch kauend: »Aber die Kipferl sind auch nicht schlecht.«
    »Er liebt die Linzer, hat er’s schon gesagt?«, rief seine Frau aus dem Laden, nachdem sich die Kundin verabschiedet hatte.
    »Sie können hier anfangen. Einstweilen bis zum Dreikönigstag. Ob ich Sie länger gebrauchen kann, weiß ich noch nicht. Einverstanden?«
    »Ja, aber …«
    »Ich zahle Ihnen den Gesellenlohn, zufrieden?«
    Pistoux zuckte mit den Schultern. Er wusste gar nicht, wie viel das war.
    »Sie logieren hier im Haus, kostenfrei, am Abend gibt’s ein Essen«, sagte Frau Dunkel, die nun wieder in die Backstube getreten war. »Wo haben Sie ihr Gepäck?«
    »Nebenan im Goldenen Hufeisla.«
    »Na fein, dann holen Sie’s.«
    Wenig später führte ihn Frau Dunkel die schmale Holzstiege in den zweiten Stock hinauf, wo sie die niedrige Tür zu einer engen Kammer öffnete. Pistoux musste sich bücken, um eintreten zu können. Die Einrichtung bestand aus einem schmalen Tisch, der vor dem schiefen Fenster mit rotweiß karierten Vorhängen stand, einem dazugehörigen Stuhl, einem rohen Eisengestell mit Waschschüssel und Wasserkanne und einem Bett mit aufgeplusterter Federdecke.
    Frau Dunkel lachte, als sie auf das Bett deutete: »Das ist wohl etwas kurz für einen so großen Menschen wie Sie.«
    Pistoux trat zum Fenster, öffnete es und blickte hinaus. Feine Schneeflöckchen, fast zu klein, um in dem dämmrigen Zwielicht vom bloßen Auge erkannt zu werden, fielen herab. Dort unten war ein kleiner gepflasterter Hof, der von den jeweils angrenzenden Grundstücken durch einen windschiefen Lattenzaun getrennt wurde. Um abgeteilte Grundstücke gruppierten sich schiefe zwei- bis dreistöckige Fachwerkhäuser. Von manchen Wänden war der Putz abgeblättert und gab den Blick frei auf das aus Lehm und Stroh bestehende mürbe Mauerwerk. Durch eine Lücke zwischen zwei Häusern hindurch konnte Pistoux die Burg mit ihren Türmen erkennen. Es sah so aus, als sei sie dazu erbaut worden, das Häusermeer zu ihren Füßen zu überwachen. Doch das Gewirr aus Gassen und Gässchen, das Nürnberg darstellte, war wohl kaum von oben herab zu kontrollieren, mutmaßte Pistoux. Aber für einen Fremden ist jede Stadt verwirrend.
    »Abendessen gibt’s um fünf, danach gehen wir schlafen. Um drei fangen wir mit der Arbeit an.«
    Pistoux wandte sich vom Fenster ab. Daran würde er sich gewöhnen müssen. »Einen Ofen gibt es hier nicht«, sagte Frau Dunkel. »Aber dafür ist es in der Backstube schön warm.«
    »Es wird schon gehen.«
    »Im Übrigen …«, wollte sie hinzufügen, kam aber nicht weiter, denn draußen hörte man großes Geschrei. Das Gesicht der Bäckersfrau, das eben noch freundlich gelächelt hatte, verdüsterte sich schlagartig. Sie hörten ein Rumpeln und Scheppern, als würden Fässer und Kisten umstürzen.
    Pistoux drehte sich um und beugte sich aus dem noch geöffneten Fenster. Unten im Hof sah er den dicken Bäcker hin- und herlaufen. In der Hand hielt er einen mächtigen Holzknüppel. Er trat gegen Fässer und Kisten, die um ihn herum auf den gepflasterten Boden gefallen waren. Wutentbrannt versuchte er, über die Hindernisse zu steigen. Offenbar wollte er eine Lücke im
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