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Das Gift des Boesen

Das Gift des Boesen

Titel: Das Gift des Boesen
Autoren: Vampira VA
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fiel ins Freie. Die Fenster sahen aus wie die gelben Augen eines Tieres, das seinerseits das Treiben draußen beobachtete und alles entdecken mußte, was immer sich dort auch bewegte.
    Mich, dachte Steen fröstelnd.
    Er wußte weniger denn je, warum er immer noch hier war. Warum er nicht Gott und die Welt alarmierte, um dem Scheusal, dem er gefolgt war, das Handwerk zu legen.
    Anfangs hatte Steen sich noch selbst eingeredet, er würde sich nur an die Fersen des Unheimlichen heften, um dessen Adresse in Erfahrung zu bringen. Nun aber wußte er, daß dies nicht seine Motivation gewesen war - ohne aber erkennen zu können, welche Beweggründe ihn tatsächlich trieben.
    Was für ein Mensch mußte das sein, der des Nachts auf einen Friedhof schlich und dort ein Grab schändete?
    Die Last auf den Schultern der Gestalt, die Steen verfolgt hatte, war in Tuch eingeschlagen worden und entsprechend unkenntlich gewesen - dennoch hegte der Uhrmacher kaum Zweifel, daß es sich dabei um einen Leichnam gehandelt hatte, einen auffallend kleinen Toten, den der ebenfalls kleinwüchsige Fledderer aus dem Schoß der Erde herausgeholt hatte!
    Der Tod war nicht nur für Raoul Steen ein unlösbares Mysterium. Auch frommere und klügere Leute als er scheiterten, wenn es darum ging, das Wesen des Todes erklären zu wollen. Die Kirche versprach den Gläubigen zwar die Wiedergeburt nach dem Jüngsten Gericht - aber dem Tod als solchen vermochten auch die Pfaffen nicht die Maske vom Gesicht zu reißen, um zu verstehen, was sich dahinter verbarg .
    Trotz des anstrengenden Wegs, der hinter ihm lag, schwitzte Steen inzwischen kaum noch. Schon das allein war angesichts der immer unerträglicher werdenden Schwüle erstaunlich, drang aber kaum in sein Bewußtsein. Er war völlig auf das Haus fixiert. Seine Gedanken kreisten um den Mann, der darin verschwunden war, und dessen Tat.
    Als besäße das Gebäude nicht nur »Augen«, sondern auch »Ohren«, versuchte Steen jedes vermeidbare Geräusch bei der Annäherung zu unterbinden. Um dies zu erreichen, hatte er einen Stofflappen, den er sonst zum Putzen der Nase benutzte, um das Ende des Krückstocks gewickelt.
    Über einen schmalen Pfad gelangte er zur Tür des zurückversetzt zur Straße stehenden Hauses. Das Grundstück war verwildert; schon seit einer Ewigkeit schien sich niemand mehr um den Bewuchs gekümmert zu haben.
    Steen bog vor Erreichen der Haustür rechts ab und hinkte zu einem der in Kopfhöhe liegenden, erhellten Fenster. Während er sich in der Dunkelheit die kühle Fassade entlang tastete, gestand er sich unvermittelt ein, was ihn eigentlich davon abhielt, die anderen Leute aus ihrem Schlaf zu schreien. Es war die Faszination, an die er kurz zuvor gedacht hatte. Dieselbe Kraft, die auch ihn spät nachts noch auf den Kirchhof geführt hatte:
    Der Tod.
    Oder das Geheimnis, das der Tod behütete und das die Menschen immer beschäftigen würde, falls es nicht irgendwann jemand lüftete, indem er .
    Ja, indem er was tat? Die Toten befragte? Aber wie hätte er das anstellen sollen .?
    Während er die Nase an der Fensterscheibe platt drückte, um Einblick ins Innere des Hauses zu erhaschen, erinnerte sich Steen an die Marotten Adliger, die ihm zu Ohren gekommen waren. Angeblich veranstalteten sie regelmäßige Zusammenkünfte, in deren Verlauf sie - so machten sie jedenfalls die Welt glauben - mit den Geistern Verstorbener in Kontakt traten und ihnen Fragen nach deren Erfahrungen im Jenseits stellten. Steen hielt solche Veranstaltungen für blanken Betrug und Gotteslästerei, obwohl sein Glaube an den Herrgott im Himmel fadenscheinig, wenn nicht gar löchrig geworden war.
    O Marie, daran bist du schuld - du allein!
    Vergeblich versuchte Steen, etwas in dem Raum hinter dem Fenster zu erkennen. Er hatte den Eindruck, in gelbgefärbtes Wasser zu blicken. In einen Behälter, in dem nichts anderes als diese Flüssigkeit existierte und in dem kein Mensch hätte leben können .
    Er ertrug den Anblick nicht länger, sank nach unten und kniete sich auf das gesunde Bein, während er das lahme weit abspreizte. Dumpfer Schmerz zog durch seine lädierte Hüfte, und schweratmend suchte er nach einer Erklärung für das Phänomen, mit dem er gerade konfrontiert worden war.
    Als ihm auch bei angestrengtestem Überlegen nichts dazu einfiel, richtete er sich wieder auf und humpelte zu einem der anderen Fenster, hinter dessen Scheibe ebenfalls das Licht stockte, als wäre es schier geronnen.
    Steens Augen
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