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Das Gift des Boesen

Das Gift des Boesen

Titel: Das Gift des Boesen
Autoren: Vampira VA
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unter der ausladenden Krone einer Linde.
    Nachdem er ächzend darauf niedergesunken war und mit dem Rücken gegen den rauhen Stamm des Baumes lehnte, konnte er den Kirchhof und einen Teil der Stadt überblicken - auch die Zitadelle mit der Burg, in der einst die Könige von Mallorca residiert hatten, zeichnete sich als schwarzer Schattenriß gegen das funkelnde Diadem der Sterne ab.
    Es war lange vorbei, jenes Königreich ... Inzwischen hatte sich vieles verändert. Auch die eroberungslustigen Franzosen waren wieder aus Perpignan und dem ganzen Roussillon vertrieben worden. Seither bestimmte Madrid die Geschicke der Region - selten genug allerdings zur Freude der hier ansässig gewordenen Katalanen. Sie würden sich - das wurde von Tag zu Tag deutlicher - nicht mehr lange friedlich mit der gestrengen Reglementierung der spanischen Krone abfinden. Und in einer Zeit, da es in Europa an allen Ecken und Enden zündelte oder brannte, schien sich schleichend auch über Perpignan Unheil zusammenzubrauen ...
    Jener Mensch, der Raoul Steen vor seinem Unfall gewesen war, hatte die Freundlichkeit und Toleranz seiner katalanischen Mitbür-ger geschätzt. Seit er jedoch mit sich und der ganzen Welt gebrochen hatte, wollte er von den drohenden Nöten nichts mehr wissen.
    Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den triefenden Schweiß vom Gesicht. Irgendwo raschelten ein paar Mäuse, sonst blieb es still genug, um den Gedanken an das unwiederbringlich Vergangene weiter nachhängen zu können.
    An Marie zum Beispiel. Die er haßte. Und ebenso vermißte ...
    Ein Geräusch ließ Steen innehalten. Es unterschied sich von den üblichen Nachtlauten. Kein Tier verursachte es.
    Es waren Schritte. Schritte, die aus einer anderen Richtung kamen als die, aus welcher der Uhrmacher hierher gefunden hatte!
    Steen verzog das Gesicht. Die Nacht legte sich wie dunkle Schminke über die Grimasse, die er schnitt. Er duckte sich. Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken. Er wollte nicht gesehen werden, mit niemandem zusammentreffen. Lautlos glitt er von der Bank und kroch hinter den Stamm. Die Krücke zog er ebenso hinter sich her wie das lahme rechte Bein.
    Modriger Geruch stieg in seine Nase. Steen unterdrückte das Bedürfnis zu niesen. Er schmiegte sich an die Linde und spähte dorthin, woher die Schritte erklangen. Es war die erste Störung überhaupt, seit er den Friedhof als Oase der Ruhe für sich entdeckt hatte. Nach langem Suchen fand er eine Bewegung im düsteren Abglanz des Himmels. Eine Gestalt näherte sich von einem der Nebenpfade.
    Ein - Kind ...? Steens Zunge leckte verunsichert über seine rauhen Lippen. Dabei streifte er die behaarte Warze unter dem linken Nasenloch und schüttelte den Kopf. Irritiert versuchte er Einzelheiten des nächtlichen Kirchhofbesuchers zu erkennen.
    Die kleinwüchsige Gestalt war trotz der schweißtreibenden Schwüle in einen fast bis zum Boden reichenden Umhang gehüllt, der Kopf unter einer Kapuze verborgen. Es war nicht einmal ersichtlich, ob der Besucher männlich oder weiblich war. Er trug etwas bei sich, das er eng an den Körper preßte.
    Was es war, konnte Steen auf die Entfernung nicht erkennen.
    Der Größe nach schätzte er die Gestalt auf höchstens zehn Jahre; die Bewegungen hingegen deuteten auf einen Erwachsenen hin. Sie waren sehr sicher, keineswegs ängstlich in Anbetracht der Umgebung.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte der Uhrmacher wieder eine Regung, die in klarer, kreatürlicher Angst wurzelte. Ein Schauder rann über seine verschwitzte Haut, und er entschied sich, davonzulaufen, sobald die unheimliche Gestalt nur weit genug entfernt war, um ihn nicht zu bemerken. Daß wirklich ein Kind unter dem Umhang steckte, mochte er keinen Moment länger glauben.
    Steen fluchte, ohne daß ein Ton über seine Lippen kam. Die Gestalt entfernte sich, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Eine Weile hörte Steen nur das Geräusch des eigenen Atmens und seiner Herzschläge.
    Er pflanzte seine Krücke auf den Boden und richtete sich vorsichtig daran auf. Als er stand, kam es ihm vor, als sähe er den Friedhof zum ersten Mal. Als wäre ein Schleier gefallen. Hinter jedem Grabstein, hinter jedem hölzernen Kreuz schien plötzlich etwas zu lauern, das Steen beäugte und ihm Böses wollte.
    Er hatte noch keinen Schritt in Richtung Ausgang getan, als neue Geräusche ihn zusammenzucken ließen. Sie kamen aus der Richtung, in der die fremde Gestalt verschwunden war, und sie hörten sich an,
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