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Das Gift des Boesen

Das Gift des Boesen

Titel: Das Gift des Boesen
Autoren: Vampira VA
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und von Grund auf umgekrempelt. Den geselligen, fröhlichen Possenreißer gab es nicht mehr. Steen war ein todernster Eigenbrötler geworden, oftmals in einer Weise abweisend gegen seine Mitmenschen, daß längst auch das Geschäft darunter litt. Mit Müh und Not reichte das, was durch sein Handwerk und den Mieterlös aus der über dem Geschäft liegenden Wohnung in die Kasse kam, zum Überleben. Dabei konnte Steen noch von Glück sagen, daß ihn keine Schulden drückten. Das Haus in der Rue Mucio hatte er vom toten Vater - einem flandrischen Kaufmann - geerbt, und Marie, mit der er ohne den Segen der Kirche zusammengelebt hatte, war davongelaufen, ohne sich ums Geld zu scheren.
    Steen wußte, daß sie sich zuletzt vor ihm geekelt hatte und ihn nicht mehr hatte anfassen wollen. Ihre Zärtlichkeiten hätten ihm gewiß über manches hinweggeholfen, aber sie hatte sich rigoros geweigert, dergleichen zu tun, und ihn auch noch wüst beschimpft: »Dein Bein - es ist so häßlich ... Und dein Schwanz ... Genausogut könnte ich eine Schnecke beackern, sie würde auch nicht hart werden!«
    Nein, es war gut, daß sie fort war. Sie sollte nur ja auch fort bleiben.
    Steen öffnete die Augen. Der Mondenschein flutete hell zum Fenster herein. Der Uhrmacher stützte sich auf seine Ellbogen und überlegte, was er tun konnte, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Er war durchaus müde, erschöpft vom Tagwerk, zugleich aber auch von der Schwüle so aufgewühlt und nervös, daß die Aussichten, ein Auge zuzutun, mehr und mehr schrumpften.
    In Reichweite seiner Arme stand an Bettgestell und Wand gelehnt die Krücke. Krüppelstelze nannte Steen das Ding, das ihm half, durch die Straßen der Stadt zu humpeln.
    Die Betrunkenen entfernten sich. Ihr Gegröle wurde leiser, bis es nicht mehr zu hören war. Steen sank zurück. Aber als er erneut in sich lauschte, wurde ihm klar, daß seine Unruhe nur zu vertreiben war, wenn er sich bewegte, statt hier still weiter in Schweiß gebadet zu liegen und auf das Ende der Nacht zu warten.
    Er schwang sich aus dem Bett und kleidete sich mühsam an.
    Als Steen kurze Zeit später ins Freie trat, hatte er noch kein beson-deres Ziel vor Augen. Er wollte einfach den erstickend eng gewordenen vier Wänden entfliehen.
    Leise klackte das stumpfe Ende der Krücke über das holprige Pflaster der Straße. Steen war bemüht, keinen Lärm zu machen, kein Aufsehen zu erregen. Es schien ihm zu gelingen. Oder die Menschen in den Häusern, an denen er vorbeiging, stellten sich einfach nur taub.
    Taub wie seine Lenden ...
    *
    Zwei bewaffnete Engel aus Stein thronten auf den Pfosten, die das Tor zum Friedhof säumten. Raoul Steen fand, daß die Sterne des Firmaments und das Dunkel der Mitternacht die schattenhafte Illusion echter Wachsamkeit in die starren Züge der Cherubime woben.
    Eine Weile hielt er vor dem schmiedeeisernen Tor inne und ließ seinen Blick abwechselnd von einer Figur zur anderen schweifen. Er glaubte an Engel. Genau wie er an die Existenz des Teufels glaubte. Nur die Angst vor beidem hatte er verloren, seit Marie weg war. Und seit der Klöppel zwischen seinen Beinen ihm nicht mehr gehorchte.
    Darauf war Steen fixiert. Es machte ihm zu schaffen, nicht mehr ausleben zu können, was in seinem Kopf immer noch rumorte, von Tag zu Tag lauter sogar.
    Das Tor des Gottesackers blieb über Nacht unverschlossen. Vermutlich weil es ohnehin niemand wagte, die Ruhe der Toten zu deren Stunde zu stören.
    Steen hatte seine ehemalige Furcht vor denen, die hier lagen, abgestreift. Inzwischen - denn es war nicht sein erster Besuch zu nächtlicher Zeit - empfand er den Aufenthalt zwischen den Gräbern und den Frieden, den diese ausstrahlten, als überaus erquickend. Manchmal verdächtigte er sich sogar, daß ihm die Toten näher standen als die Lebenden.
    Ja, die Toten, Marie.
    Ein lautlos den Horizont erhellender Blitz riß Steen aus den Gedanken.
    »Es wettert«, murmelte er. Die Angewohnheit, in Selbstgespräche zu verfallen, hatte er sich nach Maries Verschwinden angeeignet. Und während er auf den Donnerhall des Blitzes wartete, öffnete er das Friedhofstor und betrat den dahinter beginnenden Pfad.
    Steen war schweißgebadet. Der vollgesogene Stoff des Hemdes drückte schwammig und fast ebenso fest auf seine Brust wie der Krückenschaft in seine Achselhöhle. Sein Herz schlug, als wäre es die Trommel eines Kriegshetzers. Ungelenk bewegte sich der Uhrmacher über die mondhellen Pfade zu einer Ruhebank
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