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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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wirbelnde Nebelschwaden und eine schwarze Spur waren noch in der Luft zu erkennen.
    Das falsche Tier erlegt.
    Zornig folgte Tahns Blick der dunklen Spur auf der anderen Seite der Schlucht aufwärts zu einer Gestalt, die auf einem grasbewachsenen Fleckchen zwischen zwei großen Tannen stand. Sie hatte die Hände ausgestreckt, die noch von der gleichen Dunkelheit erfüllt waren. Eine Kapuze hing tief über der Stirn und verbarg das Gesicht im Schatten. Doch das Wesen schien Tahn reglos anzustarren, als tauschten sie eine lautlose Botschaft aus. Dann kniete die Gestalt nieder, ohne den Kopf von Tahn abzuwenden, und stieß beide Fäuste in den Boden. Ein leuchtend schwarzer Blitz brach aus der Erde hervor, und der Boden darum dampfte. Tahn glaubte, im tiefen Schatten unter der Kapuze den Umriss eines Lächelns zu erkennen – eines Lächelns, das wortlos zu ihm sprach.
    Das Ding wollte, dass ich sehe, wie es den falschen Hirsch tötet – dass es ein Leben beendet, das verschont bleiben sollte … Es kennt mich!
    Da richtete sich der Fremde wieder auf, einen Hauch von Scharlachrot auf dem pechschwarzen Umhang.
    Und er zeigte mit einem bleichen Finger auf Tahn.
    Tahn stockte der Atem. Es tat so weh, dass er beinahe zu Boden ging, denn seine Beine wackelten ohnehin schon. Was er gerade gesehen hatte … die Elemente selbst beherrscht, Sturm und Regen herabgeschleudert, um … die falsche Beute zu töten. Tahn hatte noch nie einen Lenker gesehen, geschweige denn …
    Ein Velle!
    All meine Himmel!
    Das war die einzige Erklärung, die er finden konnte. Ein Stilletreuer aus dem Born, aus Mythen und Geschichten und geheimen Reichen, so fern, dass sie für ihn nur in der Fantasie existierten. Velle, die finsteren Lenker des Allwillens, hier im Helligtal! Das war unvorstellbar.
    Der Vorleser!
    Könnte dieses bösartige Geschöpf seine dunklen Kräfte auch gegen den alten Mann gerichtet haben? Das würde erklären, weshalb der Leser zu Nordsonn nicht erschienen war. Der Gedanke löste neue Panik in ihm aus und eine furchtsame Ahnung von größerer Trauer.
    Tahn erinnerte sich ans Atmen und sog einen Schwall kalter Luft ein, die in seiner Kehle brannte und dann wieder in die Kälte hinausströmte. Er versuchte einen weiteren Atemzug, um sich zu beruhigen. Die Gestalt auf der anderen Seite der Schlucht starrte nur aus dem Schatten ihrer Kapuze.
    Der reglose Velle und seine finstere, gebannte Aufmerksamkeit machten Tahn schier wahnsinnig, und er wurde von reinem, blindem Grauen gepackt, wie es ein Kind überkommt, das allein im Dunkeln eingeschlossen ist.
    Ihm fiel nur noch eines ein.
    Tahn rannte davon, der Bogen in seiner Hand vergessen.
    Er eilte in den Schutz der Bäume, warf nur ein Mal einen Blick hinter sich und sah, wie die verhüllte Gestalt um die Vertiefung am Beginn der Schlucht lief, ihm hinterher.
    Tahn zwang seine zitternden Beine, sich schneller zu bewegen, und erreichte bald den Pfad durch den Wald. Er blieb keuchend stehen und atmete kurze Stöße warmer Luft in die Kälte aus. Genau wie der Hirsch. Er musste sich rasch etwas einfallen lassen. Die dunkle Gestalt würde ihn umso leichter und schneller finden, wenn er den Pfad zur Südstraße hinablief. Er bezwang den Drang, schnurstracks nach Helligtal zu fliehen, und schlüpfte stattdessen in das Dickicht zwischen dicht stehenden Eschen links des Weges. Er trat möglichst nur auf Moos, um seine Schritte zu dämpfen, und schlug einen Bogen zurück zur Schlucht; damit würde das finstere Geschöpf nicht rechnen. Tahn kannte diese Wälder so gut wie sein eigenes Heim – sein Verfolger hoffentlich nicht.
    Gleich darauf hörte er lautes Rascheln im Unterholz zur Linken. Der andere hatte den Pfad gefunden. Tahn zog sich den Umhang vors Gesicht, um die Dampfwolken seines keuchenden Atems zu verbergen, duckte sich und lauschte.
    Ein paar feuchte Schritte auf dem Pfad. Dann ein Heulen, das kreischend über die Wipfel hallte.
    Und Stille.
    Irgendetwas an dieser Ruhe machte Tahn nervös. Hatte der andere erkannt, dass seine Beute umgekehrt war? Tahn wartete nicht ab, um es herauszufinden. Geduckt lief er zu der Schlucht zurück, wo er das Wesen zuerst gesehen hatte. Er erinnerte sich an den knochigen, bleichen Finger, der auf ihn gezeigt hatte. Aber weshalb den Hirsch töten? Das war die falsche Beute gewesen. Und wieder kam Tahn der Gedanke, dass die Kreatur ihm genau das hatte zeigen wollen: Sie hatte gewusst, dass der Hirsch nicht hatte sterben sollen … und sie hatte
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