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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
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Roxanne machte sich nichts vor: die alte Simone, das alberne Mädchen mit seinen Geheimnissen und Ansprüchen, den manischen Hochphasen und den schwarzen Löchern, in denen die Trieze-Männchen hausten, ja, auch die Simone mit all ihrer Liebe war womöglich für immer verschwunden.
    Eine Hausapotheke voller Medikamente, die sie morgens und abends einnahm, um wach zu bleiben und einschlafen zu können, dämpfte ihre Manie fast bis hin zur Katatonie und hob ihre Stimmung dann wieder an, bis sie sich in einem halbwegs normalen Gleichgewicht einpendelte. Sie nahm Medikamente, die ihre Stimmung aufhellten, ihre Aufmerksamkeit schärften, ihren Überschwang verflachen ließen, ihre Angst dämpften, ihre Vorstellungskraft zügelten, ihre Paranoia verringerten und ihre Neugierde mit einem Pfropfen verstopften. Die Atmosphäre in der Wohnung war nahezu unerträglich künstlich.
    Im ganzen Land waren die Zeitungen, Zeitschriften und Blogs voll mit Versionen von Simones Geschichte, die als Wahrheit verkauft wurden. Ihr Bild tauchte oft auf dem Fernsehbildschirm auf, in der Regel hinter einem empörten Moderator oder Talkshowgast. Manchmal war es das Foto, das am Tag ihrer Verhaftung geknipst worden war, gelegentlich eines der gestellten Fotos von jenem unseligen Dinner, als sie so schön ausgesehen hatte, obwohl sie inner lich fast umkam. Die Radioschwätzer konnten gar nicht aufhören, sich über sie zu ereifern, darüber, was für ein Monster sie doch sei. Durchgeknallte Besserwisser blockier ten die Rufleitungen. Wöchentliche Artikel in der Regenbogenpresse behaupteten, die ganze Geschichte zu kennen und zu berichten.
    Die ganze Geschichte! Hätte Roxanne noch irgendeinen Sinn für Humor übrig, wäre sie über eine solch absurde Behauptung in lautes Gelächter ausgebrochen. Simones Geschichte war auch die von Roxanne. Und die von Ellen und Johnny. Sie alle waren für das verantwortlich, was an jenem Septembernachmittag geschehen war.
    Roxannes Mann, Ty Callahan, hatte angeboten, seine Arbeit am Salk Institut so weit wie nötig auf Eis zu legen, damit er sie zur Verhandlung begleiten könne, aber sie woll te ihn nicht dabeihaben. Er und ihre Freundin Elizabeth waren Verbindungsglieder zu der Welt hoffnungsvoller, optimistischer, normaler Menschen. Der Gerichtssaal wür de Tys uneingeschränkte Zugehörigkeit zu dieser Welt zunichtemachen.
    Am Abend davor hatten sich Roxanne und Ty Essen vom Chinesen kommen lassen. Danach hatte er gelesen, und sie war mit dem Kopf auf seinem Schoß dagelegen und hatte nach dem leeren Raum in ihrem Hirn gesucht, wo sich die Stille verbarg. Sie waren früh zu Bett gegangen und hatten sich mit überraschender Dringlichkeit geliebt, als stünden sie unter dem Diktat der Zeit und müssten ihre Beziehung, bevor es zu spät wäre, auf elementarste Art festigen. Roxanne hätte hinterher schlafen sollen, stattdessen war sie aufgestanden und hatte sich die halbe Nacht Wer bespots für Computer-Karrieren und wunderwirkende Hautcremes angesehen, ehe sie schließlich auf dem Sofa eingeschlafen war, wo Ty sie am nächsten Morgen mit Chowder, ihrem blonden Labrador, fand, der, einen Ball zwischen den Vorderpfoten, auf dem Boden neben ihr schnarchte.
    »Schau mich nicht an«, sagte sie, sich aufsetzend. »Ich sehe fürchterlich aus.«
    »Stimmt.« Ty reichte ihr eine Tasse Kaffee, und sein Lächeln ging über ihr auf wie die Sonne. »Die hässlichste Frau, die ich heute früh gesehen habe.«
    Sie legte die Stirn an seine Brust und schloss die Augen. »Sag mir, dass ich das heute nicht tun muss.«
    Er zog sie an sich. »Wir stehen das durch, Roxanne.«
    »Aber wer werden wir hinterher sein? Wenn es vorbei ist?«
    »Ich denke, das müssen wir einfach abwarten.«
    »Wirst du da sein?«
    »Falls ich auf die Idee kommen sollte fortzugehen, werde ich dich vorher abholen.«
    Sie schloss die Augen im Gerichtssaal und stellte sich Ty vor, umringt von seinen Post-Doktoranden, ernste junge Männer und Frauen, die auf eine Art zu ihm aufsahen, die Roxanne damals, als sie noch lachen konnte, süß und leicht amüsant gefunden hatte. Sie kannte die Arbeitsweise ihres Mannes, die Umsicht, die er walten ließ, die sorgfältigen Aufzeichnungen, die er mit seiner präzisen Handschrift eines Konstruktionszeichners in seine Labor-Notizbücher eintrug. Während das Leben auseinanderbrach und von einem Tag auf den nächsten nichts mehr sicher war, war es beruhigend – eine Art Meditation –, an Ty zu denken, wie er am anderen
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