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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
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orangefarbenes Haar. Sie ging in die Hocke, um Roxanne auf gleicher Augenhöhe zu begrüßen. »Die werden Sie mögen«, sagte Mrs. Edison und wackelte mit den Augenbrauen. Und Roxannes Gesicht wurde heiß, weil sie wusste, dass Mrs. Edison über sie sprach.
    Als sie sich verabschiedeten, schenkte Mrs. Eno Roxanne ein kleines silbernes Windrad, das sich flirrend drehte.
    Mrs. Edisons Mann und Daddy waren beide Soldaten beim U . S. Marine Corps, was jedoch nicht bedeutete, dass sie beste Freunde waren. In seiner Freizeit spielte Daddy Poker und Poolbillard im Royal Flush auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mr. Edison dagegen steckte seine Nase immer in eine Ausgabe von Popular Mechanics . Mommy sagte, Mr. Edison werde es bei den Marines noch zu etwas bringen, und Daddy sagte, meine Fresse, ist ja toll.
    Erwachsene benutzten eine besondere Sprache voller Wörter und geheimnisvoller Ausdrücke wie »meine Fres se«, die Roxanne nicht kannte. Eines Tages nahm Mrs. Edi son sie in die Bibliothek mit, und Roxanne suchte in dem großen blauen Wörterbuch nach »Fresse«. Es stand nicht darin, und das bereitete ihr Sorge, denn wie sollte sie dann jemals die Bedeutung all der Wörter lernen, die Erwachsene gebrauchten. Im Fernsehen redeten die Kinder mit ihren Eltern, und ihre Eltern redeten mit ihnen. Fragen und Ant worten wurden auch Konversation genannt, und obwohl es nie jemand aussprach, nicht direkt, wusste Roxanne, dass Mommy und Daddy mit ihr keine Konversation haben wollten.
    Wenn Mrs. Edison gut gelaunt war, beantwortete sie Roxannes Fragen, oft aber ermahnte sie sie auch und sagte, Neugierde sei der Katzen Tod. Mrs. Edison hatte einen gelben Kater namens Tom, aber den brachte so leicht nichts um, denn er hatte neun Leben. Roxanne redete viel mit anderen Leuten und wusste, dass der Postbote von einem Hund gebissen und sein Arm mit zehn Stichen genäht worden war, und dass die Frau in Von’s Supermarkt ein Kind bekam und hoffte, es würde ein Mädchen werden, damit sie es Rashida nennen könnte. Straßauf, straßab sprach sie mit jedem, auch mit der Frau an der Ecke, die immer einen Schal trug. All diese Gespräche, die Wörter, die sie nicht kannte, und die widersprüchlichen Dinge, die Leute sagten, verwirrten Roxanne. Sie war zu dem Ent schluss gelangt, dass es Regeln dafür geben müsse, was man an bestimmten Stellen sagte und fühlte, Regeln für das Sprechen und Regeln für das Zuhören, und manchmal hatte sie Angst, was mit ihr geschehen würde, wenn sie diese Regeln niemals lernte. Sie wollte nicht wie die ob dachlose Frau werden, die sogar im Sommer eine rote Woll mütze au f hatte und in unverständlichem Kauderwelsch vor sich hin brabbelte, wenn sie ihren Einkaufswagen auf dem Bürgersteig vor Roxannes Haus entlangschob.
    Roxannes Welt war voller Gebote und Verbote – geh nicht bei Rot über die Straße, fass den heißen Herd nicht an, schließ nachts die Türen zu, rede nicht mit Fremden –, und deshalb war es einleuchtend, dass es Regeln dafür geben musste, wie man redete und wie man sich verhielt. Vielleicht würde sie, wenn sie genügend Bücher gelesen und alle Wörter im Wörterbuch gelernt hätte und niemals aufhören würde, zu beobachten und zuzuhören, irgendwann verstehen, warum Mütter im Fernsehen ihre Töchter liebten, ihre Mutter aber sie nicht liebte.
    Beim Abendessen sagte Mommy: »Du wirst eine Weile bei deiner Großmutter bleiben.«
    Dies war das erste Mal, dass Roxanne von einer Großmutter hörte.
    »Wir brechen morgen nach dem Frühstück auf. Pack, was du brauchst, in deinen rosa Rucksack, und vergiss die Zahnbürste nicht.« Mommy ging ins Bad und sperrte die Tür hinter sich ab.
    Die Fragen stellten sich wie Soldaten in einer Reihe in Roxannes logischem Denken auf, eine Kompanie von Fragen, die mit warum und wer und wann begannen und was geschehen würde, wenn sie ihren ersten Schultag verpasste.
    Sie hörte, wie Wasser rauschend in die Badewanne lief. In Kürze würde unter der Tür der Dampf wie Rauch heraus kriechen. Mommy musste nervös sein. Sie nahm immer ein Bad, wenn sie nervös war. Das Medizinschränkchen öffnete sich und klickte zu; der Klosettdeckel knallte gegen den dahinter befindlichen Wasserkasten. Dies waren nor male Geräusche und nichts, worüber sie sich sorgen müsste. Aber wenn alles normal war, warum fühlte Roxanne dann etwas Großes und Böses und Kaltes, als wäre ein Polarbär durch die Haustür hereingekommen und stünde nun mitten im Zimmer
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