Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
Vom Netzwerk:
die Beine auf den Sitz hoch und schlang die Arme um ihre Knie. Ihr Daddy war tot, aber sie war nicht traurig, nicht einmal ein bisschen. Sie wollte es einfach nur vergessen.
    Zurück auf dem Highway, schlief Roxanne ein. Als sie auf wachte, fuhren sie auf einer zweispurigen Straße, und auf beiden Seiten reihten sich Bäume wie strammstehen de Soldaten. Roxanne versuchte, sie zu zählen, doch sie flogen zu schnell vorbei und brachten sie zum Schielen. Durch das offene Autofenster strömte Luft herein, die nach Früchten und Wein roch. Am Straßenrand ragten steife braune Gräser auf, doch die Bäume dahinter waren dunkelgrün und warfen Schatten, die wie tiefe Teiche aussahen.
    »Hat meine Großmutter eine Hängematte?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich habe sie vor deiner Geburt das letzte Mal gesehen.«
    In der Antwort ihrer Mutter lag eine Welt von Einsamkeit, und Roxanne war klug genug, nicht weiter nachzubohren.
    »Wird sie mich mögen?«
    »Wenn du dich anständig benimmst.«
    »Wie benehme ich mich anständig?«
    »Herrgott, Roxanne, gib mir einfach etwas Raum, etwas Luft. Diese Fragen rauben mir den Atem. Sie ist okay, du wirst sie wahrscheinlich sogar mögen. Sie ist … ordentlich, genauso wie du.«
    Ordentlich und Bücher und legt großen Wert auf Schule.
    »Sag mir, an welchem Tag du zurückkommst.«
    »Glaubst du, ich habe in meinem Kopf einen Kalender?«
    Roxanne mochte Kalender.
    »Meine erste Klasse geht bald los.«
    »Und du wirst sensationell sein.«
    »Ich habe meine Lehrerin getroffen. Sie heißt Mrs. Eno und sie hat oranges Haar.«
    »Roxanne, bitte …«
    »Ich habe ihr erzählt, dass ich Rezepte lesen kann. Ich kenne die Wörter für Milch und Butter und Eier und …«
    »Hör auf damit, Roxanne.« Die Stimme ihrer Mutter war brüchig wie der Bürgersteig vor ihrem Haus. »Ich warne dich, fordere dein Glück nicht heraus.«
    Sie fuhren an einem Haus mit einem danebenstehen den Wassertank vorbei, an einem Feld, von dem Leute irgendetwas aufklaubten, an einem Obststand, an dessen Vorderseite Schilder festgenagelt waren, und Roxanne winkte einem Jungen zu, der neben der Straße auf einem dicken Pferd ritt. All die Fragen, die in ihrem Kopf herumwirbelten, hatten sich zu einer einzigen riesigen Frage verdichtet, deren Antwort sie unbedingt erfahren musste, jetzt und sofort.
    »Wirst du zurückkommen?«
    Ihre Mutter krümmte sich über das Lenkrad und starrte finster auf die Straße hinaus.
    »Versprich es mir!«
    »Was?«
    »Versprich, dass du zurückkommen wirst, damit ich in die erste Klasse gehen kann.«
    Ihre Mutter knallte den Fuß auf die Bremse und lenkte den Wagen nach links über den Gehsteig und weiter auf eine Zufahrt, gesäumt von dickstämmigen Palmen, die rie sigen, staubig-grünen Giftpilzen glichen. Vor sich erblickte Roxanne ein zweistöckiges Haus, erbaut aus Stein und Holz, mit einem spitzen Dach und einer breiten Veranda und von so vielen Bäumen umgeben, dass sie nur drei oder vier Fenster sehen konnte. An einer Seite ragte ein Wasserturm empor, an der anderen war ein langer, niedriger Schuppen zu sehen, mit einem alten Truck und einem Berg rostiger Maschinen davor.
    Nichts sah normal oder vertraut aus, nichts wirklich sicher.
    »Versprich es mir, Mommy!«

3
    Juli 2009
    R oxanne trank ihre zweite Tasse Kaffee, während sie ihre To-do-Liste überflog, die sich mit Fotos von ihrer Schwester Simone und deren Familie den Platz an der Kühlschranktür teilte. Auf der To-do-Liste waren die meisten Punkte umkringelt – fertig , erledigt –, doch Roxanne konzentrierte sich auf jene, die sie noch abzuarbeiten hatte. Im Schlafzimmer und am Badezimmerspiegel befanden sich ähnliche Listen, eine Vielzahl von Dingen, die erledigt werden mussten, ehe Roxanne und Ty, ihr Mann, zum Flug hafen fahren würden. Listen, Kalender, Uhren: dies waren die Navigatoren, mit deren Hilfe sie durch das Leben steuerte, und wenn Ty diesen Job in Chicago bekäme, würde das Listen über Listen bedeuten; und selbst die Listen würden Listen haben, um zu verhindern, dass sie die Orientierung verlor.
    Eine türkisfarbene, mit Nektarinen gefüllte Emailleschüssel stand auf der Küchentheke des Bungalows in der Little Goldfinch Street. Die Nektarinen würden in ein, zwei Tagen reif sein, doch Ty und sie wären dann schon weg und hätten nichts mehr davon. Sie würde das Obst nachher zur Lehrerkonferenz mitnehmen. Wenn sie es das Wochenende über auf der Theke stehen ließe, würde es verderben, und im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher