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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
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Als sie jetzt darüber nachdachte, kam ihr der Gedanke, dass das Tanzen womöglich eine Vorwarnung für die Rückkehr der Trieze-Männchen gewesen war.
    Merell studierte die Stimmungen ihrer Mutter wie ein Seemann das Kräuseln des Windes auf der Meeresoberfläche. Sie brauchte ihre Mutter nicht zu sehen, um zu wissen, wie es ihr ging. Die Luft im Haus vibrierte von ihren Stimmungen.
    »Was lungerst du da drüben herum?« Mommy setzte sich ein wenig auf und nahm die schwarze Satin-Schlafmaske ab. Ihre Augen waren gerötet und geschwollen und mit gelben Krümeln verkrustet. »Du weißt, ich hasse es, wenn du herumlungerst.«
    »Hast du geschlafen?«
    »Sehe ich aus, als würde ich schlafen?«
    »Entschuldigung.« Merell wusste, dass ihre Mutter, obwohl sie Stunden und manchmal ganze Tage im Bett verbrachte, angeblich so gut wie nie schlief.
    »Mommy, ich habe mich gefragt …«
    »Merell, ich habe Kopfschmerzen.«
    »Ich habe über die Schule nachgedacht.« Sie wartete einen Moment, in der Hoffnung, ihre Mutter würde sich von allein erinnern. »Und ich habe mir gedacht, ich habe mich gefragt … Weißt du noch, dass ich dieses Jahr in die Upper Primary komme?«
    »Und?«
    »Hast du es vergessen?« Sie redete leise, weil Mommy empfindliche Ohren hatte.
    »Kommst du endlich zur Sache, Merell?«
    »Du hast gesagt, wir würden einkaufen gehen.« Im September würde Merell an der Arcadia in die vierte Klasse und damit in die Upper Primary kommen, und sie brauchte eine neue Schuluniform, weil Mädchen der vierten Klasse und älter sich nicht mehr wie die Kleinen in der Lower Primary anzogen. »Du hast gesagt, wir würden mit dem Taxi fahren.«
    In diesem Moment wurde Merell klar, dass sie niemals wirklich geglaubt hatte, ihre Mutter werde mit ihr zu Macy’s gehen, durch den überfüllten Laden schlendern und sich wie alle anderen Mütter verhalten. Und obwohl sie nun enttäuscht war, war sie nicht wütend, weil sie wusste, dass ihre Mutter ihre Versprechen niemals mit Absicht brach. Sie konnte einfach nicht anders.
    »Heute sind die Trieze-Männchen da, Merell. Ich kann nirgendwohin gehen.«
    Merell hatte eine ferne Erinnerung an eine Zeit, bevor sie etwas von den Trieze-Männchen wusste, als die Zwillinge noch in ihren Wiegen lagen und ihre eigene Nanny hatten. In dieser herrlichen Zeit verbrachte Merell Stun den im Schlafzimmer ihrer Mutter, wo sie zusammen Spiele spielten und gemeinsam Bilderbücher anschauten. Manchmal spielten sie Piraten der Karibik. Mommy leerte ihren ganzen Schmuck auf dem Bett aus – Ohrringe, Halsketten, Ringe und Armbänder, alles, was funkelte –, und den vergruben sie dann unter den Decken, den Kissen, in den Kissenbezügen, zwischen dem Matratzenschoner und der Matratze. Sie banden sich Tücher um die Stirn und taten, als wären sie Piraten auf Schatzsuche. Zum Schluss schmückten sie sich von Kopf bis Fuß mit den Juwelen.
    Eines Tages fand Mommy in einer Schachtel auf ihrem Schrank ihr Hochzeitskleid, das sie Merell anziehen ließ und mithilfe von Sicherheitsnadeln enger machte. Mommy trug einen speziellen Anzug, den man Smoking nennt und dessen Hose sie mit Hosenträgern am Platz hielt.
    »Du bist die Prinzessin«, sagte ihre Mutter an jenem Tag. »Und heute ist dein Hochzeitstag, und alle wichtigen Leute im Königreich sind gekommen, um zu sehen, wie schön du bist.«
    Sie stellte schnulzige Musik an, machte eine kleine Verbeugung und hob Merell in ihre Arme.
    »Willst du mit mir tanzen, meine schöne Braut?«
    Merell würde sich immer an die Augen ihrer Mutter erinnern, die wie Edelsteine gefunkelt hatten, als sie einander umfasst hielten. Sie konnten nicht tanzen, weil das Hochzeitskleid zu viel Stoff und Schleier hatte und sich alles um sie herum verknäulte. Stattdessen blieben sie auf der Stelle stehen, hielten sich in den Armen und wiegten sich im Takt zur Musik.
    Mommy flüsterte etwas, und ihre Lippen berührten Merells Ohr. »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich werde dich immer lieben, du mein schönes Mädchen. Meine Frau.«
    Bald danach kamen, soweit Merell es wusste, die Trieze-Männchen zum ersten Mal, und in den Monaten und Jahren, die folgten, schienen sie zu kommen und zu gehen, wie es ihnen beliebte, nisteten sich im Kopf ihrer Mutter für ein paar Stunden, ein paar Tage oder Wochen ein. Einmal hatte Merell die Haare ihrer Mutter nach hinten gestrichen und in ihre beiden Ohren geblickt, in der Hoffnung, eines dieser kleinen Monster zu sehen. Inzwischen wusste sie
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