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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
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Stimmen. Sie litt nicht unter Halluzinationen. Aber zu irgendeinem Zeitpunkt an diesem heißen Septembertag wurde sie von der Wahnvorstellung ergriffen, dass das Baby, mit dem sie schwanger war, die Zwillinge und Olivia alle dazu verdammt seien, so hilflos und zutiefst unglücklich zu werden wie sie selbst. Sie ›wusste‹ um das traurige Schicksal, das ihre Töchter erwartete, und sie ›wusste‹, was sie tun könnte, um dem Einhalt zu gebieten, und sie ›wusste‹, dass es die richtige Entscheidung war.«
    Roxanne hielt den Atem an.
    »Es war nicht rational, dieses Wissen . Es war entsetzlich falsch, aber es konnte nicht reflektiert werden, weil es ihr Denken völlig ausfüllte und keinen Platz für irgendeinen anderen Gedanken ließ. Als sie den Schlüssel im Zündschloss des gelben Camaro drehte, konnte sie richtig von falsch nicht unterscheiden, und gemäß unseres Rechtssystems ist sie aufgrund dieser Unfähigkeit als nicht schuldig zu betrachten.«
    Richter MacArthur warf einen finsteren Blick auf die murmelnden Zuschauerreihen und klopfte mit seinem Hammer.
    »Ganz gleich, wie Sie in diesem Fall entscheiden, Simone Duran wird nicht freikommen.
    Wenn eine Person für nicht schuldig befunden wird, kann sie normalerweise aus dem Gerichtssaal herausspazie ren und alles hinter sich lassen, doch dieser Fall ist anders gelagert. Wenn Sie Simone Duran aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit für nicht schuldig befinden, wird sie nicht freikommen. Sie wird in ein Krankenhaus für geisteskranke Straftäter eingeliefert werden. Und sie wird dort eingesperrt bleiben, bis ein ganzes Team von Ärzten feststellt, dass sie keine Gefahr mehr für sich oder andere darstellt.
    Und, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor. Dieser Fall wird vielleicht niemals eintreten. Sie wird womöglich für den Rest ihres Lebens eingesperrt bleiben.«
    Cabots Worte trafen Roxanne wie ein Faustschlag und stießen sie nach hinten gegen die Stuhllehne.
    Cabot sagte: »Ich möchte Sie nun an die Frage erinnern, die ich Ihnen in meinem Eingangsplädoyer ans Herz ge legt habe. Warum hat Simone Duran versucht, sich und ihre Töchter umzubringen? Ich glaube, Sie haben Ihre Antwort erhalten.«
    Cabot trat von der Geschworenenbank zurück. Zum ers ten Mal fiel Roxanne auf, welchen Tribut die vergangenen zwei Wochen ihm abverlangt hatten. In seinen abgespannten Zügen stand ein Ausdruck von Trauer und Resignation, als wäre Simone seine Frau und verdiente noch ein paar Worte, die sie wirklich beschrieben.
    »Simone Duran hat versucht, ihre Töchter umzubringen, weil sie wusste , dass es die richtige und liebevollste Lö sung war.« Er ließ seine Worte einsickern. »Sie tat es, weil sie in diesem Moment geistig unzurechnungsfähig war.«
    Die Jury hatte sich vier Tage zur Beratung zurückgezogen. Der Anruf aus David Cabots Büro erfolgte, als Roxanne und ihre Schüler mitten in einer Gemeinschaftskunde stunde waren. Sie ging in den hinteren Teil des Klassenraums und rief Ty an. Es war sinnlos, sich einzubilden, sie könnte unbemerkt telefonieren. Alle Schüler hatten sich umgedreht, um zu gaffen und zu lauschen.
    »Sie haben entschieden.«
    »Ich bin schon unterwegs«, sagte er.
    Sie klappte ihr Handy zu und drückte auf den Knopf der schulinternen Gegensprechanlage, um im Sekretariat Bescheid zu geben. Schüler, Lehrkörper und Personal der Balboa Middle School hatten auf diesen Moment gewartet und einen Plan aufgestellt. Man hatte im Sekretariat eine Vertretung organisiert, die sofort nach Eintreffen der Nachricht als Ersatz in Roxannes Klasse geschickt werden könnte.
    Als sich Roxanne ihrer Klasse zuwandte, um sie über ihren Aufbruch zu informieren, war der Blick eines jeden Schülers auf sie gerichtet. Sie starrte zurück, ihr Kopf mit einem Mal völlig leer. Sie würde nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Wie Elizabeth ganz richtig bemerkt hatte, war das Halbjahr für ihre Schüler eine lange Lektion über das Funktionieren des Rechtssystems in diesem Land gewesen. Sie hatten natürlich ihre Meinungen. Roxanne hatte gehört, wie sie über Simones Schuld oder Unschuld diskutierten, wenn sie in Grüppchen in den Gängen standen oder sich vor Unterrichtsbeginn um die Pulte scharten und bei Roxannes Nahen jählings verstummten. Manche ga ben sich teilnahmsvoll, obwohl Roxanne Sympathiebekun dungen von Kindern, deren Übertritt von ihr abhing, niemals wirklich traute. Andere Schüler – die meisten, wie sie vermutete – hegten
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