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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden
Autoren: Anne Perry
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nach muß ich das wohl selbst tun.« Sie stützte sich auf der Sofalehne ab und machte Anstalten aufzustehen.
    »Du wirst niemanden hinauswerfen, bevor ich es nicht sage«, fuhr Lovel ihr unerwartet in gefaßtem, ruhigem Ton über den Mund. »Du bist nie diejenige gewesen, die die Familienehre verteidigt hat. Alles, was du verteidigt hast, war Joscelin – ob nun zu Recht oder nicht. Menard ist für seine Schulden aufgekommen und hat die kleinen Betrügereien vertuscht, die er überall –«
    »Dummes Zeug! Wessen Wort hast du dafür? Menards?« Sie spuckte den Namen förmlich aus. »Er nennt Joscelin einen Betrüger, sonst keiner! Und wenn Joscelin noch am Leben wäre, würde er es niemals wagen. Er traut sich das nur, weil er damit rechnet, daß du ihm den Rücken stärkst. Und er denkt, keiner von uns würde ihm auf den Kopf zu sagen, was für ein erbärmlicher, heimtückischer Lügner er ist.«
    Menard stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Ihm war deutlich anzusehen, wie schwer ihn dieser endgültige Hieb getroffen hatte. Nein, er würde Joscelin nie wieder um ihretwillen in Schutz nehmen.
    Callandra stand auf.
    »Du irrst dich, Fabia. Du hast dich immer geirrt! Miss Latterly hier bestätigt zum Beispiel, daß Joscelin ein Schwindler war. Er hat die Hinterbliebenen von Kriegsopfern um ihr Geld gebracht, weil sie ihn aufgrund ihres Kummers nicht als das sehen konnten, was er war. Menard war immer der bessere von beiden, aber du hast dich von Joscelins Schmeicheleien blenden lassen. Vielleicht hat er dich am allermeisten hinters Licht geführt.« Nicht einmal Fabias gramgebeugte Erscheinung – jetzt, wo ihr allmählich die furchtbare Wahrheit dämmerte – vermochte Callandra noch aufzuhalten. »Du wolltest ja getäuscht werden. Er sagte dir stets, was du hören wolltest: wie schön, wie charmant, wie bezaubernd du wärst – das ganze Zeug, was ein Mann an einer Frau schätzt. Und er machte eine Kunst daraus, machte sich deine Leichtgläubigkeit, deine unglaubliche Versessenheit darauf, unterhalten zu werden und im Mittelpunkt zu stehen, schamlos zunutze. Er hat das alles nicht etwa gesagt, weil er auch nur ein einziges Wort davon glaubte, nein – er wußte, daß du ihn dafür lieben würdest. Und du hast es getan, du bist blind und absolut unkritisch gewesen und hast jeden andern darüber vergessen. Ihr seid beide Opfer dieser Tragödie!«
    Fabia welkte zusehends dahin.
    »Du hast Joscelin noch nie leiden können«, machte sie einen letzten, verzweifelten Versuch, ihre Welt und ihre Träume zu retten, eine Vergangenheit zu bewahren, die einst in einem goldenen, wunderschönen Licht erstrahlt war und vor ihren Augen zu zerbrechen drohte. Es ging nicht allein um das, was Joscelin gewesen war – es ging um sie selbst. »Du bist eine boshafte, alte Frau.«
    »O nein, Fabia«, gab Callandra zurück. »Eine sehr, sehr traurige.« Sie wandte sich zu Hester um. »Ich gehe nicht davon aus, daß Ihr Bruder Joscelin getötet hat, sonst wären Sie kaum hierhergekommen, um uns das alles zu erzählen. Wir hätten der Polizei geglaubt, und die Details wären überflüssig gewesen.« Sie warf Menard einen unbeschreiblich schmerzerfüllten Blick zu. »Du hast seine Schulden bezahlt. Was hast du sonst noch getan?«
    Der Raum versank in qualvollem Schweigen.
    Monks Herz schlug so heftig, daß er das Gefühl hatte, sein ganzer Körper wankte. Sie bewegten sich am Rande der Wahrheit und waren dennoch so weit davon entfernt. Ein winziger Ausrutscher, und sie würden in die Abgründe der Furcht stürzen, in das Schattenreich geflüsterter Zweifel, unausgesprochener Verdächtigungen, unmißverständlicher Zweideutigkeiten – bis aus dem Hinterhalt Schritte nahten und man die Hand auf der Schulter spürte.
    Gegen seinen Willen wanderten seine Augen zu Hester. Sie schaute ihn an, und er konnte ihrem Blick entnehmen, daß sie die gleichen unheilvollen Gedanken hegte.
    »Was hast du sonst noch getan?« beharrte Callandra. »Du wußtest, was für ein Mensch Joscelin war.«
    »Ich habe seine Schulden bezahlt.« Menards Stimme war zu einem Flüstern geschrumpft.
    »Seine Spielschulden, ja. Und was ist mit seiner Ehrenschuld, Menard? Was ist mit der furchtbaren Schuld gegenüber Männern wie Hesters Vater und Hesters Bruder? Hast du die auch bezahlt?«
    »Ich – ich wußte nichts von den Latterlys«, stammelte Menard.
    Callandra betrachtete ihn unglücklich.
    »Weich mir nicht aus, Menard. Du magst die Latterlys dem Namen nach nicht
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