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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden
Autoren: Anne Perry
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auffälligen Stock gekauft hatte, dieses Paradebeispiel männlicher Eitelkeit. Mrs. Worley würde sich daran erinnern – wie auch an sein plötzliches Verschwinden. Lamb würde wieder einfallen, daß er ihn am Morgen nach dem Mord in Greys Wohnung gesehen hatte. Imogen Latterly würde zugeben müssen, daß Monk den Tod ihres Schwiegervaters untersucht hatte.
    Das Dunkel um sie herum wurde dichter, rückte näher, verdrängte das Licht.
    »Wir müssen Menard zu einem Geständnis bringen«, sagte Evan schließlich.
    Monk lachte hart auf. »Und wie, schlagen Sie vor, sollen wir das anstellen? Es gibt nicht den geringsten Beweis, und das weiß er. Niemand würde mir abkaufen, daß ich ihn gesehen habe, wenn er es leugnet, zumal ich erst jetzt damit herausrücke. Es würde wie ein schäbiger und ausgesprochen dummer Versuch aussehen, die Schuld von mir auf einen anderen abzuwälzen.«
    Das klang logisch; Evan zermarterte sich das Gehirn vergeblich nach einer Entkräftung. Monk saß schlaff und erschöpft in dem großen Sessel. Die emotionale Berg und Talfahrt hatte ihn stark mitgenommen.
    »Gehen Sie nach Hause«, sagte Evan sanft. »Hier können Sie nicht bleiben. Eventuell –« Er hatte plötzlich eine Idee, die ihn hoffen ließ. Eine Person konnte ihnen vielleicht noch helfen. Es war zwar nur eine winzige Chance, aber sie hatten sowieso nichts mehr zu verlieren. »Ja«, wiederholte er energisch. »Gehen Sie nach Hause. Ich komme bald nach, muß nur noch was erledigen. Einen Besuch machen –« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Raum. Die Tür ließ er angelehnt.
    Er jagte in großen Sprüngen die Treppe hinunter, schoß an Grimwade vorbei und stürzte in den Wolkenbruch hinaus. Dann rannte er um den Mecklenburg Square herum und die Doughty Street entlang, bis er auf einen Hansom stieß, dessen Fahrer den Mantelkragen weit über die Ohren und den Zylinder tief in die Stirn gezogen hatte.
    »Bin nich im Dienst, Mann«, brummte der Kutscher unwirsch. »Für heut is Feierabend. Bin auf ’m Weg nach Hause, zum Abendessen.«
    Ohne auf sein Gerede zu achten, stieg Evan ein und schrie ihm die Adresse der Latterlys zu.
    »Haben Se nich gehört? Ich fahr nirgendwo mehr hin!« wiederholte der Mann etwas lauter. »Mein Abendessen wartet. Suchen Se sich wen anders!«
    »Sie bringen mich jetzt sofort in die Thanet Street!« brüllte Evan zurück. »Polizei! Also ein bißchen dalli, oder Sie sind Ihre Lizenz los!«
    »Verdammte Bullen«, schimpfte der Kutscher verdrossen. Er kam zu dem Schluß, daß er einen Irren hinten im Wagen sitzen hatte und daß es klüger wäre, zu tun, was er verlangte. Er nahm die Zügel und ließ sie auf den triefenden Rücken des Pferdes klatschen. Wenig später holperten sie in flottem Trab durch die Straßen.
    Kaum hatten sie die Thanet Street erreicht, sprang Evan aus dem Wagen und befahl dem Kutscher unter Androhung von Lebenslänglich, auf ihn zu warten.
    Hester war sogleich zur Stelle, als Evan von einem konsternierten Mädchen in die Halle geführt wurde. Das Wasser tropfte ihm vom ganzen Körper, und sein häßliches, wunderschönes Gesicht war kreideweiß. Das Haar klebte ihm in der Stirn, unter der ein gehetztes Augenpaar hervorstarrte.
    Sie hatte Hoffnung und Verzweiflung zu oft gesehen, um sie nicht sofort zu erkennen.
    »Können Sie mit mir kommen?« bat er eindringlich. »Bitte! Ich erklär’s Ihnen unterwegs. Miss Latterly – ich –«
    »Sicher.« Sie brauchte nicht lang zu überlegen. Eine Weigerung stand nicht zur Debatte, außerdem mußte sie verschwunden sein, bevor Charles oder Imogen erschienen und den triefenden, rasenden Polizisten in der Halle vorfanden. Sie konnte nicht einmal ihren Umhang holen – aber was hätte er bei diesem sintflutartigen Regen schon genützt? »Ich komme.« Ohne sich umzublicken, marschierte sie an ihm vorbei zur Tür hinaus. Sie hatte das Gefühl, gegen eine schiere Regenwand anzulaufen, kümmerte sich nicht darum, überquerte den Bürgersteig, machte einen großen Schritt über den gurgelnden Rinnstein und saß in der Kutsche, ehe Evan oder der Fahrer noch Gelegenheit gehabt hätten, ihr eine Hand zu reichen.
    Evan kletterte hinter ihr her, schlug die Tür zu und befahl dem Kutscher brüllend, sie zur Grafton Street zu bringen. Da der Mann noch nicht bezahlt worden war, blieb ihm nichts anderes übrig.
    »Was ist passiert, Mr. Evan?« fragte Hester, sobald sie losfuhren. »Es muß etwas Furchtbares sein. Haben Sie
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