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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden
Autoren: Anne Perry
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Anrecht darauf zu erfahren, wie und warum er starb.«
    Lady Fabia saß stocksteif, mit starrem Gesicht auf dem kleinen Sofa, die Hände halb nach dem Glockenstrang ausgestreckt. Sie hatte nicht nur keinen von ihnen gebeten, Platz zu nehmen, es hatte ihr sichtlich auf der Zunge gelegen, sie endgültig zum Gehen aufzufordern. Die Erwähnung von Joscelins Tod veränderte die Situation grundlegend. Abgesehen von dem Ticken der Uhr auf dem Kaminsims war es totenstill.
    »Sie kennen Joscelins Mörder?« fragte sie Monk, ohne Hester eines Blickes zu würdigen.
    »Ja, Ma’am, so ist es.« Sein Mund war wie ausgedörrt, das Blut pochte in seinen Schläfen. War das Angst? Mitleid? Beides?
    Fabia starrte ihn herausfordernd an, dann wich der kämpferische Ausdruck aus ihren Augen. Sie hatte etwas in seinen Zügen entdeckt, dem sie nicht gewachsen war, ein Wissen und eine Unabwendbarkeit, die einen ersten Anflug namenloser Angst in ihr hervorrief. Ihre Hand zog mechanisch am Glockenstrang, und als das Mädchen erschien, wies sie es an, Menard und Lovel augenblicklich hereinzuschicken. Von Rosamond sagte sie kein Wort. Da Lovels Frau keine gebürtige Grey war, fand Fabia es überflüssig, sie an der Enthüllung teilnehmen zu lassen.
    Man wartete schweigend, jeder in eigenen Jammer und dunkle Ahnungen vertieft. Lovel betrat den Raum als erster. Er warf einen gereizten Blick von Fabia zu Monk, dann einen überraschten auf Hester. Man hatte ihn allem Anschein nach aus einer wichtigen Betätigung aufgescheucht.
    »Was ist denn?« fragte er seine Mutter stirnrunzelnd. »Gibt es Neuigkeiten?«
    »Mr. Monk behauptet zu wissen, wer Joscelin getötet hat«, erwiderte sie mit vorgetäuschter Ruhe.
    »Wer?«
    »Das hat er bisher nicht verraten. Er wartet noch auf Menard.«
    Lovel wandte sich zu Hester, das Gesicht in verwirrte Falten gelegt. »Miss Latterly?«
    »Das betrifft auch den Tod meines Vaters, Lord Shelburne«, sagte sie ernst. »Ich habe ein paar Dinge zu berichten, die dem besseren Verständnis dienen.«
    Lovel machte plötzlich einen besorgten Eindruck, doch ehe er Hester weiter ausfragen konnte, kam Menard zur Tür herein, sah von einem zum andern und erbleichte.
    »Monk weiß, wer Joscelin ermordet hat«, klärte Lovel ihn auf. »So, jetzt rücken Sie um Himmels willen mit der Sprache heraus! Ich darf wohl annehmen, daß Sie den Kerl festgenommen haben?«
    »Wir sind dabei, die nötigen Schritte in die Wege zu leiten, Sir.« Monk stellte erstaunt fest, daß seine Umgangsformen den Shelburnes gegenüber höflicher waren als sonst. Vermutlich war es ein Versuch, sich zu distanzieren, eine Art verbale Verteidigungsstrategie.
    »Ja, warum sind Sie dann hier?« fragte Lovel ungeduldig.
    »Major Grey verdiente sich seinen Lebensunterhalt anhand gewisser Erfahrungen, die er im Krimkrieg gesammelt hat –« begann er unbeholfen. Was sollte diese elende Schönfärberei? Mußte er die Wahrheit mit gepflegten Worten bemänteln?
    »Mein Sohn ›verdiente‹ sich nicht seinen Lebensunterhalt, wie Sie es ausdrücken!« fuhr Fabia ihn an. »Das brauchte er nicht – er war ein Mann von Stand. Er erhielt einen monatlichen Zuschuß aus dem Familienfonds.«
    »Der nicht annähernd reichte, die Kosten seines Lebensstils zu decken«, warf Menard grimmig ein. »Wenn ihr ihn nur ein einziges Mal genau angesehen hättet, würdet ihr das wissen.«
    »Ich wußte es.« Lovel funkelte seinen Bruder wütend an. »Ich dachte immer, er hätte enormes Glück im Spiel gehabt.«
    »Ja, das hatte er – manchmal. Und dann hat er wieder verloren, kräftig verloren; mehr als er besaß. Er spielte immer weiter, in der Hoffnung, das Geld zurückzugewinnen, und ohne auf die Schulden zu achten – bis ich sie schließlich bezahlt habe, um das Ansehen der Familie zu retten.«
    »Du bist ein Lügner«, sagte Fabia angewidert. »Du warst schon immer auf Joscelin eifersüchtig, sogar als Kind. Er war tapferer und verständiger als du und hatte ein einnehmenderes Wesen!« Für einen Moment hoben ihre Erinnerungen die Gegenwart auf und wischten die Verbitterung aus ihrem Gesicht. Dann kehrte der Zorn schlimmer als vorher zurück.
    »Das konntest du ihm nie verzeihen.«
    Menard wurde hochrot; er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen, setzte sich jedoch nicht zur Wehr. Aus seinem Blick sprach trotz allem ein tiefes Mitleid für sie, ein Mitleid, hinter dem sich die schreckliche Wahrheit verbarg.
    Monk haßte die Situation. Vergeblich versuchte er einen Weg zu
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