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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Leben, das er in Fujian geführt hatte, vergaß alles außer den zehn Richtern der Hölle, die schadenfroh ihre Dämonen anwiesen, seinen sterbenden Leib mit ihren Speeren zu durchbohren.
    Er fing von neuem an zu würgen.
    Die hoch gewachsene Frau lehnte an ihrem Wagen und gab ein farblich überaus kontrastreiches Bild ab: das rote Haar, das vom heftigen Wind gepeitscht wurde, das Gelb des alten Chevy Camaro, der schwarze Waffengürtel aus Nylon, in dessen Holster an ihrer Hüfte eine ebenso schwarze Pistole steckte.
    Amelia Sachs trug Jeans und eine Kapuzenjacke, auf deren Rücken die Worte NYPD SPURENSICHERUNG standen. Ihr Blick war auf das aufgewühlte Hafenbecken bei Port Jefferson an der Nordküste von Long Island gerichtet. Dann nahm sie ihre nähere Umgebung in Augenschein. Die Einwanderungsbehörde, das FBI, die Polizei des Suffolk County und Amelias eigene Truppe hatten einen Parkplatz abgesperrt, der an einem durchschnittlichen Augusttag normalerweise von den Autos zahlloser Badegäste übergequollen wäre. Heute bei diesem Tropensturm würde sich aber vermutlich kein einziger Urlauber am Strand blicken lassen.
    In der Nähe waren zwei große vergitterte Häftlingsbusse geparkt, die der INS bei der Strafvollzugsbehörde ausgeliehen hatte, ein halbes Dutzend Krankenwagen und vier Kleinbusse mit den Vertretern der verschiedenen Dienststellen. Sofern alles nach Plan verlief, würde die Dragon sich bei ihrem Eintreffen in der Gewalt der Mannschaft der Evan Brigant befinden und der Geist samt seinem Assistenten wären verhaftet. Allerdings musste zwischen dem Moment, in dem der Geist das Küstenwachboot bemerkte, und der tatsächlichen Enterung zwangsläufig eine gewisse Frist verstreichen - schlimmstenfalls bis zu vierzig Minuten. Dadurch erhielten der Geist und sein bangshou jede Menge Zeit, sich unter die illegalen Einwanderer zu mischen und Waffen am Körper zu verstecken, wie die Schlangenköpfe es häufig taten. Die Küstenwache würde es vielleicht nicht schaffen, alle Passagiere und das gesamte Schiff vor dem Einlaufen in den Hafen gründlich zu durchsuchen, so dass der Schlangenkopf und ein paar Besatzungsmitglieder eventuell versuchen könnten, sich den Weg freizuschießen.
    Vor allem Sachs würde ein großes Wagnis eingehen, denn ihre Aufgabe war es, das gesamte Schiff nach Spuren abzusuchen, mit denen sich die diversen Anklagen gegen den Geist untermauern ließen. Ferner suchte man nach Hinweisen auf seine Komplizen. Wenn es sich um den Fundort einer Leiche oder den Schauplatz eines Raubüberfalls handelte, so war der Täter längst geflohen, und der Beamte der Spurensicherung setzte sich keiner nennenswerten Gefahr aus. Sobald der zu untersuchende Tatort jedoch zugleich der Ort des Zugriffs war, wobei man weder die genaue Zahl der Täter noch deren Aussehen kannte, entstand eine potentiell riskante Situation, besonders im Fall von Menschenschmugglern, die meist schwer bewaffnet waren.
    Amelias Mobiltelefon klingelte. Sie ließ sich auf den straff gepolsterten Sitz des Chevy fallen und nahm den Anruf entgegen.
    Es war Rhyme.
    »Wir stehen alle bereit«, teilte sie ihm mit.
    »Man hat auf dem Schiff anscheinend etwas spitzgekriegt, Sachs«, sagte er. »Mittlerweile hält die Dragon in gerader Linie auf das Ufer zu. Die Küstenwache dürfte sie noch rechtzeitig abfangen können, aber wir gehen davon aus, dass der Geist es auf einen Kampf ankommen lassen wird.«
    Sie dachte an die armen Menschen an Bord.
    Als Rhyme nicht weitersprach, wagte Sachs eine Frage. »Hat sie angerufen?«
    Er zögerte. »Ja«, sagte er dann. »Vor ungefähr zehn Minuten. Sie kann den Eingriff nächste Woche im Manhattan Hospital vornehmen. Wegen der Einzelheiten wird sie sich noch einmal melden.«
    »Aha«, sagte Sachs.
    Die Frau, von der sie sprachen, war Dr. Cheryl Weaver, eine renommierte Neurochirurgin, die für ein Semester aus North Carolina nach New York gekommen war, um am Manhattan Hospital zu lehren. Es war ein experimenteller Eingriff, dem Rhyme sich unterziehen wollte - eine Operation, die seine Lähmungserscheinungen unter Umständen bessern würden.
    Eine Operation, von der Sachs nicht unbedingt begeistert war.
    »An eurer Stelle würde ich noch ein paar zusätzliche Krankenwagen anfordern«, sagte Rhyme. Er klang wieder ziemlich sachlich - es gefiel ihm nicht, wenn mitten bei der Arbeit persönliche Themen zur Sprache kamen.
    »Ich kümmere mich darum.«
    »Das war vorerst alles, Sachs.«
    Er legte auf.
    Amelia
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