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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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lief durch den strömenden Regen zu einem der Staatspolizisten und veranlasste die Bereitstellung weiterer Ambulanzen. Dann kehrte sie zu ihrem Chevy zurück, nahm auf dem Schalensitz Platz und lauschte dem Prasseln der großen Tropfen auf Windschutzscheibe und Faltdach. In der feuchten Luft roch der Innenraum nach Plastik, Motoröl und alter Auslegeware.
    Rhymes bevorstehende Operation ließ Amelia an eine Unterredung denken, die sie kürzlich mit einem anderen Arzt geführt hatte, der nicht an diesem Rückenmarkseingriff beteiligt war. Sie wollte sich eigentlich nicht an das Gespräch erinnern, aber es geschah ganz automatisch.
    Zwei Wochen zuvor hatte Amelia Sachs im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses vor dem Kaffeeautomaten gestanden, nur wenige Meter von dem Zimmer entfernt, in dem Lincoln Rhyme währenddessen untersucht wurde. Sie wusste noch, wie auffallend scheußlich ihr die gleißenden Strahlen der Julisonne auf dem grün gefliesten Boden vorgekommen waren. Der Mann in dem weißen Kittel hatte den Raum betreten und Amelia angesprochen. »Ah, Miss Sachs. Hier stecken Sie also.« Sein ernster Tonfall hatte sie frösteln lassen.
    »Hallo, Doktor.«
    »Ich habe gerade mit Lincoln Rhymes Arzt gesprochen.«
    »Ja?«
    »Und jetzt muss ich unbedingt mit Ihnen reden.«
    Das Herz hatte ihr bis zum Hals geklopft. »Das klingt nach schlechten Neuigkeiten, Doktor.«
    »Wollen wir uns nicht da drüben in die Ecke setzen?«, hatte er gefragt und dabei nicht wie ein Arzt, sondern eher wie ein Bestattungsunternehmer gewirkt.
    »Nein, es geht schon«, hatte sie entschlossen erwidert. »Raus mit der Sprache. Was ist los?«
    Eine Windbö ließ den Wagen erzittern, und Amelia schaute abermals hinaus in das Hafenbecken und auf den langen Pier, an dem die Fuzhou Dragon anlegen würde.
    Schlechte Neuigkeiten.
    Raus mit der Sprache. Was ist los ?...
    Sachs stellte ihr Funkgerät auf die sichere Frequenz der Küstenwache ein, nicht nur, um über den weiteren Verlauf der Ereignisse unterrichtet zu bleiben, sondern auch, weil sie nicht länger an diesen blendend hellen Aufenthaltsraum denken wollte.
    »Wie weit noch bis zur Küste?«, fragte der Geist die beiden Matrosen, die sich außer ihm auf der Brücke befanden.
    »Anderthalb Kilometer, vielleicht etwas weniger.« Der schlanke Mann am Ruder warf dem Geist einen kurzen Blick zu. »Direkt vor den Untiefen drehen wir ab und versuchen, die geschützte Bucht zu erreichen.«
    Der Geist starrte angestrengt in Fahrtrichtung. Als das Schiff auf einen Wellenkamm gehoben wurde, konnte er am Horizont das hellgraue Festland als schmalen Strich ausmachen. »Bleiben Sie exakt auf Kurs«, befahl er. »Ich bin gleich wieder zurück.«
    Er atmete tief durch und ging nach draußen. Wind und Regen schlugen ihm ins Gesicht. Der Geist stieg aufs Containerdeck hinunter, dann noch ein Deck tiefer, bis er die Stahlluke zum Frachtraum erreichte. Er trat ein und ließ den Blick über die Ferkel schweifen. Besorgt und verängstigt sahen sie zu ihm hinauf. Die jämmerlichen Männer, die verwahrlosten Frauen, die dreckigen Kinder - darunter sogar ein paar nutzlose Mädchen. Weshalb nur hatten ihre dämlichen Familien sich überhaupt die Mühe gemacht, sie mitzuschleppen?
    »Was gibt's?«, fragte Kapitän Sen. »Ist das Boot der Küstenwache in Sicht?«
    Der Geist antwortete nicht, sondern hielt zwischen den Ferkeln nach seinem bangshou Ausschau. Vergebens. Wütend wandte er sich ab.
    »Warten Sie«, rief der Kapitän.
    Der Schlangenkopf verließ den Laderaum und schloss die Tür. »Bangshou!«, brüllte er.
    Keine Reaktion. Ein zweites Mal würde er nicht nach dem Mann rufen. Zunächst sicherte er die Verriegelung, sodass die Luke des Frachtraums nicht mehr von innen geöffnet werden konnte. Danach eilte er zu seiner Kabine, die sich auf dem Brückendeck befand. Während er die Stufen hinaufstieg, zog er ein verschrammtes Plastikkästchen aus der Tasche, das wie der Garagentoröffner seines luxuriösen Hauses in Xiamen aussah.
    Er klappte den Deckel hoch und drückte erst einen Knopf, dann noch einen. Das Funksignal raste zwei Decks hinab zu dem Matchbeutel, den er im Achterladeraum unterhalb der Wasserlinie deponiert hatte. Es schloss einen Stromkreis und sandte den elektrischen Impuls einer Neun-Volt-Batterie an eine Zündkapsel, die in zwei Kilo C4-Sprengstoff steckte.
    Die Explosion war gewaltig, viel stärker, als er erwartet hatte, und ließ eine Gischtfontäne aufsteigen, die bis weit über die
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