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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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berichtete später, dass rasch ein »Herr Müller« auftauchte, »der machte dann Regie«. Das Pseudonym konnte sich, intern, nicht lange halten: Müller-Stahl besuchte diesen Herrn Müller, erkannte an seiner Seite Kristina Söderbaum, und damit war klar: Veit Harlan hat die Regie beim Versuch literarischer »Vergangenheitsbewältigung« übernommen. Das wurde allerdings nicht publik (gemacht): Als Spielleiter des Stücks wurde bei der Uraufführung 1957 weiterhin Swinarski genannt. Das »Junge Ensemble« durfte mit der Dramatischen Chronik im Theater des Berliner Ensembles gastieren.
    Krasse Pointe: Veit Harlan mit seinem Undercover-Regiebeitrag ausgerechnet auf Brechts Bühne am Schiffbauerdamm!
    (Er konnte auch unter seinem Namen Theaterstücke inszenieren, selbstverständlich mit Frau Kristina in den Hauptrollen: Hauptmanns »Biberpelz« am Fränkischen Landestheater oder Strindbergs »Traumspiel« im Aachener Grenzlandtheater. Vor Gastspielen dieser Bühnen gab es vereinzelte Proteste, doch Beifall überwog.)

    Und wieder zum Roman. Über Hermann Göring liegen Biographien und Studien vor. Speziell benennen muss ich die Monographie: Ilse von zur Mühlen,
Die Kunstsammlungen Hermann Görings
, München 2004 . Zum NS -Kunsthandel: der Ausstellungskatalog
Gute Geschäfte
, Berlin 2011 .
    Authentisches, Verifizierbares wird im Roman vermittelt in der Perspektive eines – wie es in der Kunstgeschichte heißen würde – »etwas außerhalb des Zentrums positionierten Fluchtpunkts«. Unter diesem Aspekt wird der damals vorherrschende, weithin beherrschende Irrsinn besonders deutlich (gemacht). Dies auch durch Begleittexte zum Haupttext.
    Bestätigend hier Details, die erfunden wirken könnten, jedoch Fakten waren: Buben und Mädchen in einem Heim der »Kinderlandverschickung« müssen in den letzten Kriegsmonaten Weitwurf von Handgranaten-Attrappen üben … Verbrennen von Lebensmitteln vor den Augen von Hungrigen, ja Hungernden … Planung eines Göring-Museums kurz vor Sprengung der Göring-Residenz in der Schorfheide …
    Und die Sexszene mit Hitler? Sie könnte ruchlos erfunden wirken, ist aber von Erich Fromm überliefert in
Anatomie der menschlichen Destruktivität,
Hamburg 1977 . Mit dieser Szene kommt auch die Komponente Heuchelei ins Spiel: Einer der Protagonisten führt aus, was man eigentlich nicht ausführen möchte, aus Prinzip nicht. Dies etwa nach dem Schema: Wir interessieren uns zwar nicht für Intimitäten anderer,
aber


    Primär geht es im Roman um die
Logistik
der Produktion des Spielfilms
Kolberg.
Den hatte ich als Student in didaktischem Kontext sehen dürfen. Auf YouTube lassen sich Szenen zusammensuchen. Der Film wird im Roman allerdings nicht nacherzählt, das würde sich nicht lohnen, es geht um Bedingungen, unter denen der Durchhaltefilm produziert wurde. Dies zwischen der Erteilung des Auftrags Anfang Juni 1943 und der Scheinpremiere in der Atlantikfestung La Rochelle, Ende Januar 1945 .
    Thema des Romans, in neuem Formulierungsansatz: Strategie der Selbstvernichtung. Sie dominierte Ende 1944 , Anfang 1945 . In der Schlussphase des Dritten Reichs zeigt sich: Das NS -Regime war nicht nur destruktiv, es erwies sich letztlich als selbstdestruktiv.
    Auftragsgemäß sollte mit dem Medium Film der Widerstandswille von Wehrmacht und Bevölkerung, von Soldaten und Volksgenossen angeheizt werden zum schieren Fanatismus. Dafür wurde das Kampfpotential des Heeres geschwächt – in der Erwartung, ein zeitweiliger Abzug von Truppen der Ostfront würde schließlich, letztlich, letztendlich durch moralische Aufrüstung ausgeglichen.
    Der Aufwand war, wie sich bereits zeigte, gigantisch. Harlan setzte allerdings eine Zahl in die Welt, die näherer Untersuchung kaum standhalten dürfte: Insgesamt 187000 Soldaten will er bei den Dreharbeiten befehligt haben. Eine Zahl, die ständig weitergereicht, schließlich sogar vom englischen Historiker Kershaw übernommen wurde. Je nach Sollzahl wären das zehn bis achtzehn Divisionen gewesen! Eher lässt sich davon ausgehen, dass es im Verlauf der vielen Produktionsmonate mehrere Zehntausend waren, die, sukzessiv, von der Front als Massenkomparsen abgezogen wurden.
    Harlan selbst hat in seiner Nachkriegsschrift die Formulierung eingebracht vom »Gesetz des Irrsinns« – das man durchschaute, dennoch befolgte.
    (Dieses Gesetz herrscht heute noch auf verschiedensten Gebieten, am deutlichsten im Finanzsektor. Es wird fixiert und perpetuiert durch die
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