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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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unter anderem als Vorsitzender Richter im Hamburger Euthanasie-Prozess, der fast zeitgleich mit dem Harlan-Verfahren stattfindet. Wieder geht es laut alliiertem Kontrollratsgesetz Nr. 10 um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und wieder spricht Tyrolf die beschuldigten Ärzte von der Anklage des Totschlages frei. Schließlich kommt es Ende der fünfziger Jahre zu einem Ermittlungsverfahren gegen Tyrolf. Doch das Verfahren wird bald darauf eingestellt – mangels Tatverdacht, wie es offiziell heißt. Auch das war und ist exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der NS -Vergangenheit. In der Nachkriegszeit wurde in der Bundesrepublik kein einziger NS -Jurist wegen seiner Vergangenheit verurteilt.«
    Im Lexikon finde ich eine passende Formulierung: »Selbstamnestierung der Justiz«. Als Erklärung: »Ein Grund für die fehlende Verurteilung belasteter Richter und Staatsanwälte ist in der personellen Kontinuität der bundesdeutschen Justiz zu suchen.« Vereinfacht: ehemalige NS -Richter sprachen ehemalige NS -Juristen frei. Eine »Stunde null« hat es in der Jurisprudenz nicht gegeben.
    Rechtsradikale Mentalität blieb vielfach konserviert. Ein besonders eklatanter Fall, aufgeführt im Lexikon: »So bestätigte Stolting, der vor 1945 am Sondergericht Bromberg in seiner Funktion als Staatsanwalt zahlreiche Todesurteile wegen Bagatelldelikten beantragt hatte, 1981 in einem ZDF -Interview, dass er ebenjene Todesurteile ›unter gegebenen Umständen‹ abermals beantragen würde.« Da war Tyrolfs doppelter Freispruch fast systemkonform.
    Über seinen Vorsitz bei einem der Euthanasie-Prozesse habe ich keine Details gefunden. Ich kann nur generell repetieren: Auch hier, ja hier ganz besonders, hielt man fest am »Rückwirkungsverbot«. Unter diesem Zeichen erfolgten Freisprüche selbst für Angeklagte, die mehrhundertfach an Ermordungen teilgenommen, ja sogar
eigenhändig
mit Injektionen getötet hatten (der »Gnadentod« von Behinderten). Freisprüche in Euthanasie-Prozessen wurden schein-begründet: Die Angeklagten hätten durch ihre Sozialisation im NS -Staat »das Unerlaubte des Tuns nicht erkennen können«, sie wären »fremdgesteuerte Statisten« gewesen, hätten »ohne Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehandelt und sich somit in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden«. Verbotsirrtum: auch so ein Wortmonster.

    Es wurde auch kein einziger NS -Filmregisseur verurteilt! Nicht einmal Gustav Ucicky, der 1941 einen der ekelhaftesten Hetzfilme produziert hatte:
Heimkehr
. In der Hauptrolle seine Frau Paula Wessely, die nach dem Krieg allerdings Bedauern, ja Scham bekundete.
    Jerzy Toeplitz, Band 4 seiner fünfbändigen
Geschichte des Films
(Berlin 1984 ): hier finde ich eine Inhaltsangabe. Ein Ausschnitt.
    »Die örtliche Gastwirtschaft mit dem Namen ›Deutsches Haus‹ wird beschlagnahmt. Die Gastwirtsfrau wird zu Tode gesteinigt. [Ich ergänze: Dabei sieht man: sie trägt ein goldenes Hakenkreuz am Halskettchen.] Der 1 . September 1939 ist gekommen. Alle Deutschen des Städtchens haben sich in der Scheune versteckt und hören am Radio die Rede des ›Führers‹. Überrascht von bewaffneten Polizisten werden sie – mit Netzen umspannt – auf Lastwagen ins Luzker Gefängnis gebracht. Maria hält eine patriotische Rede an ihre Landsleute, die hinter Gittern zusammengepfercht sind, um ihnen Mut zuzusprechen.« [Auch diese Kitsch-Arie lässt sich auf YouTube aufspüren. Ist zudem dokumentiert auf der DVD eines Dokumentarfilms von Erwin Leiser: »Deutschland erwache«.]
    Wieder Toeplitz: Die gefangenen Wolhynien-Deutschen »singen ein Heimatlied: ›Deutsche Heimat sei gegrüßt …‹. Die Polen haben beschlossen, alle Gefangenen – etwa zweihundert Personen, darunter Frauen und Kinder – zu erschießen, und bringen sie in den unter Wasser stehenden Keller.«
    Und so weiter, bis zur Befreiung durch die Wehrmacht in letzter Minute. Sodann die »Heimkehr« ins Reich, das den Treck an der Grenze mit plakatgroßem Hitlerbild begrüßt.
    Ucicky war als Regisseur von Unterhaltungsfilmen bald wieder im Geschäft. 1947 : »Singende Engel«. Der Routinier drehte weiterhin Unterhaltungsfilme, etwa: »Der Jäger von Fall«. Oder, frei nach Ganghofer: »Der Edelweißkönig«.

    Auch Wolfgang Liebeneiner schaffte geschmeidig die Wende, konnte nach dem Krieg die Karriere glanzvoll fortsetzen.
    November 44 hatte er begonnen mit Dreharbeiten zum Durchhaltefilm
Das Leben geht weiter
. Auch hier ein Auftrag von Goebbels, mit
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