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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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bedroht waren. Andersherum: Es dürfen nur Taten bestraft werden, die bereits
vor
der Tat strafbar waren. Rückwirkend Strafen anzudrohen und zu verhängen galt und gilt weithin als nicht legitim, ja, als unmoralisch.
    Konkretisiert: Was in der NS -Ära nicht strafbar war, kann und darf nachträglich nicht geahndet werden. Oder: Was damals gültiges Recht war, kann später nicht als Unrecht gelten. Mit dieser Regelung waren NS -Richter, rasch wieder in Amt und Würden, absolut konform.
    Heiligabend 1945 aber wurden Ausnahmen legalisiert im Kontrollratsgesetz Nr. 10 . Ich lese online in Artikel II : »Jeder der folgenden Tatbestände stellt ein Verbrechen dar: a) gegen den Frieden, b) Kriegsverbrechen, c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit.«
    Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen wurden im Nürnberger Prozess verhandelt. Einem Schwurgericht etwa blieb es überlassen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen.
    Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit konnte beispielsweise Denunziation sein. Denunzieren war fast epidemisch geworden im Dritten Reich, obwohl Denunzianten wissen mussten, welche Folgen ihre Anzeigen haben würden, haben mussten: Verhör, Verhaftung, auch Folterung, womöglich Liquidierung. Sollten Denunziationen mit Todesfolgen nach dem Krieg straffrei bleiben, weil sie im Dritten Reich gegen kein Gesetz verstoßen hatten, weil sich Denunzianten vielmehr ›staatstreu‹ verhalten hatten? Mit dem Control Council Law 10 , dem KRG 10 konnten, sollten nun auch Taten geahndet werden, »die nach deutschem Recht zum Tatzeitpunkt nicht strafbar gewesen« waren. Also: rückwirkende Strafgesetzgebung.
    Die lehnte (auch) Landgerichtsdirektor Tyrolf ab, sah sich darin einig mit zahlreichen Kollegen. »Die Mehrheit der Juristen hegte große Vorbehalte gegen die rückwirkenden Regelungen des KRG , auch wenn sie sich dessen Geltung beugten. Zwar wurde in Urteils- und Anklagebegründungen auf das KRG 10 Bezug genommen, doch fielen die Urteile oft vergleichsweise milde aus, oder die Verfahren wurden eingestellt.«
    War nun die Inszenierung, die Realisierung des
Jud Süß
-Films ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Angeklagter und Richter sahen es eher so: Im Rahmen des damals legalisierten Unrechtsstaates war es keineswegs ein Vergehen oder Verbrechen, einen antisemitischen Hetzfilm zu drehen, es war vielmehr Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht, in diesem Fall in gehorsamer Ausführung eines ministeriellen Auftrags.
    So gerieten die Verhandlungen zur Groteske. »Harlan benutzte den vielbeachteten Prozess als Bühne für eine mit Anekdoten angereicherte Selbstinszenierung. Reue, Verantwortungs- oder gar Schuldbewusstsein zeigte er nicht. Harlan stellte sich als unpolitischen Künstler dar: Er habe aus Angst vor Goebbels die Regiearbeit übernommen, eine Ablehnung wäre einem ›Selbstmord‹ gleichgekommen.«
    Mit öffentlichen Geldern wurde im Verlauf der Wochen ein Teil der damaligen Kamarilla zusammengeführt; in der Hamburger Scheffelstraße dürfte man so manches Wiedersehen gefeiert haben. Beispielsweise reiste aus Berchtesgaden der vormalige Reichsfilmintendant Fritz Hippler an, Initiator und Realisator des Hetzfilms »Der ewige Jude«; er führte mittlerweile ein Reisebüro und arbeitete an einer Rechtfertigungsschrift. Dass solch ein Zeuge den Angeklagten nicht weiter belastete, war mit Sicherheit zu erwarten.
    Das konnte auch nicht bei Werner Krauss geschehen, der im
Jud Süß-
Film gleich fünf Rollen übernommen hatte im breiten Spektrum der Verhöhnung von Juden.
    Auch Gustav Gründgens dokumentierte Verständnis und Nachsicht. Indem diese und viele weitere Zeugen den Angeklagten entlasteten, sprachen sie sich selbst frei.
    Sehr beliebt, vielfach bewährt war dabei das Wort »Befehlsnotstand«: Es wurde zuweilen ergänzt durch »Nötigungsnotstand«. Sinngemäß hieß das: Ich konnte mich nicht entziehen; hätte ich nicht ausgeführt, was mir aufgetragen wurde, es hätte schlimme, ja tödliche Folgen haben können, nicht allein für mich selbst, sondern auch, im Rahmen der damaligen »Sippenhaftung«, für meine Familie. Mit dem Wortmonstrum »Nötigungsnotstand« wurde verdrängt, was belasten konnte.
    Harlan wurde freigesprochen aus Mangel an Beweisen. »Das Gericht zweifelte nicht an der antisemitischen Aussage von
Jud Süß
, eine persönliche Schuld des Angeklagten erkannte es jedoch nicht. In der Urteilsbegründung hieß es, es sei nicht zu beweisen, dass das Schicksal der
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