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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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an der Stadt hinzieht. Er gestattet keine Annäherung durch Laufgräben und kann überdies durch Schleusen tief unter Wasser gesetzt werden. […] Ich habe daher den festen Glauben, dass sich Kolberg gegen eine noch so große Feindesmacht zu halten vermag, wenn genügend Proviant vorhanden ist, die Überschwemmung gehörig ausgenutzt werden kann und wenn es von der Seeseite her gesichert ist.
    Unser Kommandant war damals Obrist von Loucadou, ein alter, abgestumpfter Mann. Er hing noch so blind an dem alten Herkommen, dass er sich in der neuen Zeit nicht zurechtfinden konnte. Ein großes Unglück für uns alle, die wir die Gefahr sahen und ihn aus seinem Seelenschlafe vergeblich zu wecken suchten.
    Natürlich konnte uns solch ein Mann kein Vertrauen einflößen. Während alles, was Militär hieß, seinen trägen Schlummer mit ihm teilte, fühlte sich die Bürgerschaft von Unruhe und Besorgnis ergriffen. Man beratschlagte untereinander. Weil ich nun einer der ältesten Bürger war, den Siebenjährigen Krieg erlebt und während der früheren Belagerungen Adjutantendienste beim braven Heyden verrichtet hatte, wählte man mich zum Wortführer. Ich sollte mich als Repräsentant der Bürgerschaft mit dem Kommandanten über alle Maßregeln zur Verteidigung des Platzes genauer verständigen.« Der alte Loucadou wurde abgelöst durch den jungen Gneisenau. Mit ihm klappte die Kooperation.
    Man bereitete sich systematisch vor auf eine Belagerung. »Ganze Herden Schlachtvieh, lange Reihen von Getreidewagen zogen zu unsern Toren ein. Heu und Stroh füllte in reichem Überflusse die Futtermagazine. […] Überhaupt blieb uns auf dem Wege längs dem Strand fast die ganze Zeit der Belagerung hindurch noch manche Verbindung mit der Nachbarschaft erhalten, und auch zu Wasser ließ sich jeder beliebige Punkt der Küste heimlich erreichen.«
    Die Belagerer marschierten auf. »Es wurde daher hohe Zeit, die Wiesen unter Wasser zu setzen, so dass an kein Durchkommen zu denken war. Um einen haltbaren Damm zu bekommen, hatte ich mehrere hundert leere Glaskisten mit Erde füllen und neben- und aufeinander versenken lassen. Andere Dämme waren ausgebessert und die Schleusen und Wasserläufe in Ordnung gebracht worden.
    Am 26 . April führten zwei Schiffe das zweite Pommersche Reserve-Bataillon, siebenhundert Köpfe stark, aus Memel als Verstärkung zu. Am nächsten Tage kam auch von Schwedisch-Pommern ein Schiff mit einer guten Anzahl ehemaliger Kriegsgefangener. Diese Ermunterungen brauchten wir auch mehr als jemals, da kurz zuvor das längst erwartete schwere Belagerungsgeschütz im feindlichen Lager eingetroffen war. Jetzt erst drohte der Kampf um Kolberg seinen vollen Ernst zu gewinnen.«
    Rechtzeitig traf Major von Gneisenau ein, mit Freudentränen und Kniefall begrüßt vom kleinen, alten Nettelbeck: »Verlassen Sie uns nicht! Wir wollen Sie auch nicht verlassen, sollten auch all unsere Häuser zu Schutthaufen werden. In uns allen lebt nur ein Sinn und Gedanke: Die Stadt darf dem Feinde nicht übergeben werden!«
    »Am 10 . Juni brach das bereits gefürchtete Ungewitter los. In der Zeit von einer Stunde zählte man dreihunderteinundsechzig Schüsse. Überall regnete es Kugeln und Granaten, Schaden und Unglück waren beträchtlich. Dreimal am Vormittag und einmal nachmittags brannte es bei uns lichterloh. Das Feuer wurde jedoch immer bald wieder unterdrückt. Bei diesem Vorgehen des Feindes wurden denn auch neue Vorsichtsmaßnahmen nötig. So erging durch Trommelschlag der Befehl an die Hausbesitzer, vor den Türen und auf den Böden gefüllte Wasserfässer zum Löschen bereitzuhalten.«
    Nettelbeck berichtet nun, was die Drehbuchautoren des Films selbstverständlich ignorierten: Verstärkung traf ein aus England! »Wir waren freudig überrascht, als am 14 . Juni ein englisches Schiff in den Hafen lief, welches uns eine Anzahl neue Geschütze samt dazugehöriger Munition zuführte. Es waren fünfundvierzig Kanonen und Haubitzen, zwar eiserne [ich ergänze: und nicht aus teurer Bronze], aber vom schönsten Gusse. Auch an Kugeln und Granaten war eine ansehnliche Menge mitgeschickt worden.«
    Aufrüstung also auf beiden Seiten. Das Kriegsgeschehen eskalierte bald. Nettelbecks Schilderung wird eindringlich. »In der Stadt gab es bald nirgends ein Plätzchen mehr, wo sich die zagende Menge vor dem drohenden Verderben hätte bergen können. Überall zerschmetterte Gewölbe, einstürzende Böden, krachende Wände und aufwirbelnde Dampf- und
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