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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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Vorgaben und Vorlagen. Diesmal sollte Distanz zum Publikum aufgehoben werden: als Ambiente des Geschehens Berlin in Trümmern. Wegen der fortgesetzten Bombardierungen musste man allerdings nach Neubabelsberg ausweichen und dort Ruinen nachbauen.
    Das Skript stammte von Gerhard Menzel, der das Drehbuch zu
Heimkehr
verfasst hatte (und nach dem Krieg der Branche treu blieb in bewährter Seilschaft). Menzel und Liebeneiner machten einen Ewald Martens zum Mittelpunkt einer Zehlendorfer Hausgemeinschaft. Der Diplom-Ingenieur arbeitet trotz Bombenangriffen unbeirrbar weiter an einem Frequenz-Peilgerät für Nachtjäger. Ein Rüstungsboss, laut Drehbuch: »Unsere Nachtjäger müssen dieses Gerät haben. Es ist fünf Abschüsse wert.«
    Wieder einmal waren mehrere Köche beteiligt. In einem Schreiben an den Reichsfilmintendanten Hinkel heißt es: »Herr Professor Liebeneiner ist noch dabei, das Menzelsche Drehbuch, entsprechend den Wünschen des Ministeriums, umzuschreiben.«
    Auch dieser »Staatsauftrag« lag, als ›filmische Wunderwaffe‹, in »dringendem Reichsinteresse«. Die erste Filmkopie sollte am 30 . Juni 45 dem RMVP vorgelegt werden. In einem »Überblick über das deutsche Filmprogramm für das Vertriebsjahr 1945 « heißt es: »Die Spitze des Programms bildet der neue Film Prof. Liebeneiners. Unter dem Titel ›Das Leben geht weiter‹ wird eine Schicksals- und Erlebnisschilderung aus unserer Zeit gegeben. Am Beispiel Berlins und seiner tapferen Bevölkerung, für die hier in diesem Film die Schicksale von ein paar besonders herausgehobenen Menschen stehen, schildert der Film den trotz allen Bombenterrors unbeugsamen Lebens- und Kampfeswillen des deutschen Volkes.« Außenaufnahmen an einem Flugplatz bei Lüneburg wurden April 45 mit dem Einmarsch der Briten abgebrochen. (Hans-Christoph Blumenberg hat das absurde Parallelunternehmen zum Kolbergfilm dokumentiert.)
    Noch im Jahr der Kapitulation wollte Liebeneiner in der neogotischen, lediglich beschädigten, etwa 600 Personen fassenden Johanniskirche zu Altona den
Jedermann
inszenieren. Doch erst einmal musste er das Entnazifizierungsverfahren absolvieren. Zum Laiengericht der Spruchkammer gehörte der Schriftsteller Axel Eggebrecht. Im Dritten Reich war er Autor und Co-Autor gewesen von etwa zwanzig Drehbüchern zu Unterhaltungs- und Musikfilmen: »Bel Ami … Gold in New Frisco … Operette … Komödianten«. Und so weiter. Nach dem Krieg wurde er Mitbegründer des NWDR , des Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg, entwickelte sich zu einem der profiliertesten Funkautoren.
    Eggebrecht überlieferte sein Statement in der Spruchkammer: »Herr Liebeneiner, lieber Herr Liebeneiner, das lassen Sie mal schön bleiben, warten Sie vielleicht ein Jahr, verhungern müsst Ihr ja nicht, Ihre Frau, die Hilde Krahl, hat ja viel Theater zu spielen, also davon könnt Ihr leben. Aber Sie dürfen jetzt nicht arbeiten, Sie dürfen hier nicht große Inszenierungen machen, das geht nun wirklich nicht.«
    Es ging aber doch, und das schon recht bald. Hilde Krahl gehörte zum Ensemble der Hamburger Kammerspiele, die Ida Ehre kurz nach Kriegsende gegründet hatte. Es kommt zur überraschenden Kooperation zwischen der jüdischen Prinzipalin und dem vormaligen UFA -Produktionschef und Starregisseur des Dritten Reichs.
    Ida Ehre: Berufsverbot als Schauspielerin; Arzthelferin in der Praxis ihres Mannes; Verschleppung in das KZ Flossenbürg. Das Lager an der tschechischen Grenze war berüchtigt: systematische »Vernichtung durch Arbeit« im Steinbruch. Zunehmende Bedeutung gewann jedoch die Produktion von Bauteilen für Messerschmitt-Jagdflugzeuge.
    Nach dem Krieg gehörte Ehepaar Krahl/Liebeneiner bald zum Freundeskreis der Intendantin. »Für mich waren Hilde Krahl und Wolfgang Liebeneiner ein Lichtblick nach dieser bösen, finsteren, schlimmsten Zeit meines Lebens, die in den vergangenen zwölf Jahren hinter mir lag. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass die beiden während der Nazizeit etwas getan haben könnten, was man ihnen hätte vorwerfen können.«
    Diese Einschätzung ist im Rückblick höchst erstaunlich, war, für die Nachkriegsjahre, jedoch einigermaßen verständlich: Möglichkeiten, sich über Verhaltensweisen während der NS -Ära zu informieren, waren noch eingeschränkt, die Publikation von Dokumenten lief erst an. Ida Ehre wird sich auf Selbstdarstellungen des smarten Liebeneiner verlassen haben. Und so führte er in den Kammerspielen Regie bei der Uraufführung von
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