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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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Juden in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Film zu stellen sei, dass einem Juden durch den Film Leid zugefügt worden sei.«
    Einer der Sätze des Richters Tyrolf, aufgelesen: »Die Angst der Juden vor dem Film ist lediglich auf die aufreizende Reklame zurückzuführen, nicht aber auf den Film selbst, dessen so milde Form die Juden als eine Erleichterung empfunden haben.« Kaum zu glauben, dass dieser Satz authentisch sein könnte.
    Das Urteil des Schwurgerichts liest sich, als hätte es Veit Harlan persönlich diktiert. So erklärte er, um »Jud Süß« nicht inszenieren zu müssen, hätte er sich freiwillig zur Front gemeldet. »Sein Gesuch wurde jedoch von Goebbels abgelehnt. Dieser ließ auf Grund des Vorfalles kurze Zeit danach ein Rundschreiben herausgeben, wonach er verbot, die Einziehung zur Wehrmacht zu betreiben, da jeder an seinem Platz zu stehen habe und der Dienst im Propagandaministerium dem Kriegseinsatz gleichzustellen sei. […] Goebbels selbst betrachtete auch Filmproduzenten, Regisseure, Schauspieler usw. als unter seinem Befehl stehende Soldaten. Die Nichtausführung wurde seit Beginn des Krieges von ihm als eine Verweigerung eines kriegsdienstlichen Befehls angesehen, und es bedarf keiner Erörterung darüber, dass eine solche von den damaligen Machthabern mit den schärfsten Strafen, auch mit der Todesstrafe, belegt worden wäre.«
    Der Angeklagte Harlan wird freigesprochen. (»Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens.«) Beifall im Gerichtssaal. Harlan wurde als Triumphator vor das Gerichtsgebäude getragen.
    Und Ehepaar Harlan-Söderbaum wurde von Papst Pius XII . in privater Audienz empfangen. »Der Heilige Vater machte auf mich einen überwältigenden Eindruck. Und er wusste viel mehr von dem, was um mich vorgegangen war, als ich das Recht hatte anzunehmen. Ich verließ mit großer Zuversicht Castel Gandolfo.«
    Zuversicht nun auch in der NS -Riege der »Filmschaffenden«: Schöne Aussichten auf eine Fortsetzung der früheren Tätigkeit im veränderten Referenzrahmen der Bundesrepublik.
    Doch rasch artikulierte und akkumulierte sich Protest auch gegen diesen Freispruch. Empörung vor allem über das richterliche Statement, mit dem Hetzfilm sei keinem Juden Leid geschehen. Ein Zeuge meldete sich zu Wort: »
Jud Süß
sei im Konzentrationslager Sachsenhausen den SS -Wachmannschaften vorgeführt worden, um diese zur Misshandlung jüdischer Häftlinge anzustacheln. Außerdem sei von staatlicher Stelle empfohlen worden, den Film der Polizei, der gesamten SS sowie deren Familien zu zeigen. Der Film habe somit der Indoktrination im Vorfeld der Deportationen gedient.«
    Es erfolgte ein Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft; der Strafsenat beim Obersten Gerichtshof der Britischen Zone in Köln hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht Hamburg. Das Revisionsverfahren wurde eingeleitet. Den Vorsitz übernahm ausgerechnet Landgerichtsdirektor Tyrolf! Was erneut das Binnenklima der Verhandlungen prägte. Eine Zeugin, die aussagte, Harlan hätte das Drehbuch antisemitisch verschärft, wurde aus dem Publikum heraus als »Judensau« beschimpft; sie konterte mit dem Ruf »Nazibande!« Unter Polizeischutz wurde sie aus dem Gerichtssaal geführt.
    »Im Revisionsprozess bestätigte das Gericht am 29 . 4 . 1950 den Freispruch. Einen erneuten Revisionsantrag zog die Staatsanwaltschaft einige Monate später zurück, womit der Freispruch Harlans rechtskräftig wurde.« Und damit: kein Hindernis mehr für eine Fortsetzung der Karriere, wenn auch unter veränderten Vorzeichen.
    Notwendiger Nachtrag. Ich zitiere aus einem hr-Funkfeature von Michael Marek: »Ende der fünfziger Jahre wurde bekannt, dass Richter Walter Tyrolf während der NS -Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg war und in mehreren Bagatellfällen wie leichtem Diebstahl und sogenannter Rassenschande für die Todesstrafe plädiert hatte, die dann auch vollstreckt wurde.« (Ich ergänze: Im Rahmen der »nationalsozialistischen Rechtspflege« war es schon seit 1942 legal, »vom bestehenden Recht abzuweichen«.)
    Weiter im Feature: »Trotz seiner NS -Vergangenheit erhält Walter Tyrolf schon wenige Monate nach Kriegsende eine Unbedenklichkeitserklärung von der britischen Militärbehörde. In seinem Entnazifizierungsverfahren stuft man ihn wie Veit Harlan in die Gruppe fünf, ›politisch unbelastet‹, ein. Und trotz seiner Todesurteilspraxis in Bagatellfällen darf Tyrolf wieder in der Strafjustiz tätig werden –
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