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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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Wut in sich heraufkriechen, unaufhaltsam, wie ein gefräßiges Tier, bereit, alles zu verschlingen, was sich ihr in den Weg stellte. Clara ballte die Hände zu Fäusten und zwang sich, den Blick von dem Kastanienbaum abzuwenden. Sie wusste, dass ihr Zorn ungerecht war. Ian konnte nichts dafür. Dafür nicht. Trotzdem hasste sie ihn deswegen, weil Sean jetzt bei ihm wohnen und in der Stadt studieren würde, die ihnen gemeinsam gehört und die sie mit so viel Zorn und Mühe aus ihrem Herzen verbannt hatte. Sie war eifersüchtig, und sie hatte Angst. Und beides machte sie wütend. Sie zog eine Zigarette aus der Schachtel am Fensterbrett und setzte sich zu Elise auf den Boden. Der Hund hob fragend den Kopf, dann trennte er sich mit einem wehmütigen Seufzer von den Überresten seines Knochens und legte seinen großen, grauen Kopf auf Claras Beine. Seinen Nacken kraulend, rauchte Clara ihre Zigarette und versuchte, sich auf den heutigen Tag zu konzentrieren.
    Die Rechtsanwaltskanzlei Niklas & Allewelt befand sich fast genau gegenüber von Claras Wohnung auf der anderen Seite der Isar in einer etwas heruntergekommenen Seitenstraße. Gemessen an der Tatsache, dass man von dort in nur wenigen Minuten zu Fuß in die Innenstadt laufen konnte, war die Miete sagenhaft günstig. Deshalb hatte Clara auch nicht lange gezögert, als sie damals, vor gut vier Jahren, Knall auf Fall beschlossen hatte, ihren öden Versicherungsjob und damit ihre und Seans so mühsam gesicherte Existenz wieder einmal aufs Spiel zu setzen, um sich zusammen mit ihrem alten Studienkollegen und Freund Willi Allewelt selbstständig zu machen. Keinen von beiden hatte es bislang gestört, dass die ehemalige Buchhandlung in dem sanierungsbedürftigen Altbau nicht gerade das war, was man im Allgemeinen unter einer renommierten Adresse verstand: ein langer, hoher Raum mit abgetretenem Parkett und zugigen Fenstern. Zur Straße hin hatte er ein großes Schaufenster, das ständig geputzt werden musste, und eine Eingangstür aus Glas, die jedes Mal klirrte, wenn man sie öffnete. Die Glocke, die früher angezeigt hatte, dass ein Kunde den Laden betrat, hatten sie beibehalten. Clara mochte das nostalgischen Bimmeln, das ertönte, wenn ein Mandant in die Kanzlei kam. Es erinnerte sie an die Bäckerei ihrer Kindheit, und sie war jedes Mal versucht zu glauben, jemand käme, um drei Semmeln und ein Breze zu kaufen oder den bestellten Rosinenzopf für Ostern.
    Stattdessen kamen Menschen mit Sorgen und Problemen zu ihr, baten sie, zermürbende, selbstzerstörerische Kämpfe um das Sorgerecht ihrer Kinder zu führen, empörten sich über himmelschreiende Ungerechtigkeiten und versuchten, mit Claras Hilfe gegen Windmühlen zu kämpfen. An manchen Tagen wünschte sich Clara, ihre Aufgabe im Leben wäre es tatsächlich, Brote zu backen, die nach Kümmel und Koriander dufteten, Krapfen mit Hagebuttenmarmelade zu füllen und am Abend die Tür hinter sich zu schließen mit der Gewissheit, dass das Bimmeln der Türglocke tatsächlich erst wieder am nächsten Morgen erklingen würde und sie nicht mitten in der Nacht hochschrecken ließ, wenn sie an einen drohenden Gerichtstermin oder an eine weinende Frau dachte, die andere Hilfe nötig hatte, als sie ihr geben konnte.
    Direkt neben dem Eingang hatte Linda, die Sekretärin, ihren Arbeitsplatz. Sie war blond und jung und so hübsch, dass Willi bei ihrer Einstellung vorgeschlagen hatte, sie zu Werbezwecken gleich direkt ins Schaufenster zu setzen, was ihm ein Kichern von Linda und einen bösen Frauenbeauftragtenblick von Clara eingebracht hatte. Linda war jedoch nicht nur hübsch. Sie war darüber hinaus auch noch ausgesprochen tüchtig. So tüchtig, dass es Clara mitunter fast unheimlich zumute wurde und sie unweigerlich begann, nach einem Haken an der Sache zu forschen.
    Drei knarzende Stufen höher, in der ehemaligen Fachbuchabteilung, war Willis und Claras Reich. Ihr großer, unordentlicher Tisch stand quer zur Wand, damit sie einen Blick hinaus zum Fenster und über den kleinen Vorplatz neben der Kanzlei hatte. Sie brauchte den freien Blick, die Illusion, jederzeit hinaus-, weggehen zu können, auch wenn es meistens nur bei einem sehnsuchtsvollen Blick blieb, bevor sie sich wieder über ihre Akten beugte. Über Willis Schreibtisch an der anderen Wand wölbte sich eine Treppe, die hinauf in die Galerie führte, wo sich ein weiteres, kleines Zimmer befand, ihr Besprechungsraum. Die Holztreppe vermittelte den Eindruck, als säße
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