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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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nicht. Sie war stinkwütend. Sie war so wütend, dass sie jede Lust auf den gemütlichen Abend auf der Couch verlor, auf den sie sich noch vor ein paar Minuten gefreut hatte. Sie starrte den schmalen Gang entlang, der an der Tür mit dem großen Poster endete. Sie war geschlossen, und Clara wusste, dass es dahinter seltsam leer war. Halb ausgeräumt, halb aufgeräumt, nur der Kinderkram , Spiele, alte Comics, ein lädierter Stofftiger, war zurückgeblieben und lag achtlos herum. Abrupt machte sie kehrt. Dies war kein Abend für die Couch. Elise folgte ihr erstaunt, als sie mit klappernden Absätzen die Treppe hinunterlief, während hinter ihr die Wohnungstür ins Schloss fiel.
    Nach einem Sandwich und zwei Bier in der kleinen, stillen Eckkneipe zwei Straßen weiter, in die sie manchmal flüchtete, wenn der Kühlschrank oder ihre Wohnung allzu leer waren, kehrte sie missmutig, aber zumindest müde zurück und ging sofort ins Bett. Natürlich war es zu früh, um sofort einzuschlafen, und natürlich war sie nicht müde genug, um nicht mehr zu denken. Und während sie wütende, traurige und zutiefst beunruhigende Nachtgedanken wälzte und sich dabei selbst leidtat, begann es zu regnen und zu stürmen. Die Tropfen prasselten in böigen Wellen gegen die Fensterscheiben und machten einen solchen Lärm, dass sie das verstohlene Tapsen nicht rechtzeitig hörte. Erst als das Bett unter Elises Gewicht nachgab, schrak Clara hoch, doch da war es zu spät. Sie gab dem Ungetüm von einem Hund zwar formhalber einen kräftigen Stoß mit dem Ellenbogen und raunzte ihm entrüstet zu: »Sag mal, spinnst du?«
    Elise entlockte die halbherzige Empörung ihres Frauchens jedoch nur ein zufriedenes Grunzen, und sie rückte näher heran. Clara, der zunächst noch vage Elises Sprünge durch Schmutzpfützen auf dem Weg von der Kneipe zur Wohnung vor Augen standen, legte ergeben den Kopf auf Elises warmen Rücken und schlief wundersam getröstet ein.
     
    Der nächste Tag begann grau und windig. Clara wachte schon um kurz nach sechs auf. Sie hatte schlecht geschlafen. Wirre Träume hatten sie immer wieder hochschrecken lassen, und das pappige Sandwich von gestern Abend lag ihr im Magen. Irgendwann gegen Morgen war es Elise zu unruhig geworden, und sie war davongeschlichen, um sich ein geruhsameres Plätzchen zu suchen. Clara warf einen kurzen Blick auf die Schmutzspuren auf Kissen und Laken, die Elises nächtlicher Besuch hinterlassen hatte, und zog gnädig die Decke über die Bescherung.
    Sechs Uhr morgens war keine gute Zeit für solche Dinge, und so verschob Clara die Bestandsaufnahme auf irgendwann später und schlich stattdessen barfuß und mit halb geschlossenen Augen in die Küche. Während ihre altersschwache Kaffeemaschine keuchend wie ein Asthmakranker das Wasser in den Filter spuckte, stellte sich Clara unter die Dusche, um langsam aufzuwachen.
    Angelo Malafonte fiel ihr ein, als sie mit einer Zigarette und der ersten Tasse schwarzen Kaffees, in der Küche saß und die Zeitung las. Im Münchner Teil stand eine kurze Notiz über eine italienische Familie, die von den Behörden abgeschoben worden war, weil der Vater seine Arbeit verloren hatte. Man hatte sie in ein Flugzeug nach Mailand gesetzt und offenbar gehofft, die Sache damit aus der Welt geschafft zu haben. Die Familie, die aus Sizilien stammte und seit Jahren in Deutschland lebte, war jedoch mit dem Zug zurück nach Deutschland gefahren und bei Freunden untergekommen. Jetzt hatten sie Klage erhoben. Das Verfahren dauere an, hieß es im glatten Journalistendeutsch, und der Anwalt der Familie wurde mit den üblichen kämpferischen Phrasen zitiert, die gedruckt immer irgendwie platt und ölig klangen: Man werde, wenn nötig, bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof einlegen und diesem »Politikum« ein Ende bereiten.
    Clara faltete kopfschüttelnd die Zeitung zusammen und schenkte sich eine neue Tasse Kaffee ein. In einem kleinen Artikel, einem von der Sorte, den man gewöhnlich überlas, dem die wenigsten Menschen mehr als einen flüchtigen Blick widmeten, stand - selbstverständlich wie der tägliche Börsenkurs - eine Ungeheuerlichkeit. Nicht, dass es jemandem aufgefallen wäre, wenn der Artikel größer gewesen wäre, nein, dazu war das Ereignis viel zu unblutig, zu wenig grausam. Ein paar Italiener mussten in ihre Heimat zurück. Na und? Sizilien soll schön sein, Mailand ist es allemal, mit dem Comer See und dem Gardasee um die Ecke!
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