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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe
Autoren: Anne Rice
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glaube daran», sagte Reuben. «Ich glaube an die Ganzheit allen Lebens – nicht erst seit heute. Was immer wir tun, wohin wir auch gehen – wir sind Wesen, die mit Chrisam gesegnet sind und deswegen ein ganzheitlicheres Bild von der Welt haben als alle anderen Kreaturen. Dass wir zu Bewahrern dieser Welt werden, ist nur die logische Konsequenz daraus.»
    Mit Blick auf Margon sagte Felix: «Ich sehe es genauso. Wir Mischwesen haben Zugang zur spirituellen und animalischen Welt und begreifen beide als Quelle der Wahrheit.»
    «Aber wir hadern damit», sagte Margon. «Abwechselnd fühlen wir uns mal mehr zum einen oder anderen hingezogen. Immer wieder müssen wir unsere Instinkte überwinden und um eine moralisch verantwortungsbewusste Lebensweise ringen.»
    Reuben musste wieder an den Wald denken, der ihm wie eine Kathedrale der Gottesverehrung vorgekommen war, eine Kathedrale unter dem weiten, freien Sternenhimmel. Wenn er dort war, floss das Wissen um das Göttliche in seinen Adern.
    «Genau», sagte Felix. «Immer wieder die gleichen Fragen: Gibt es einen Schöpfer, der jenseits unserer materiellen Welt aus Zellen und Chemie angesiedelt ist, oder gibt es nur den einen, der alles, Materielles wie Immaterielles, in den Händen hält? Aber wir stellen uns diese Fragen, und das ist gut so.»
    Stuart blickte in die Ferne. Ihm war anzusehen, dass er noch dabei war, all die hochfliegenden Gedanken zu verarbeiten. Aber er schien sich inspiriert zu fühlen und Möglichkeiten zu erahnen, an die er vorher nicht im Traum gedacht hatte.
    Reuben hatte das Gefühl, dass seine Seele sich weitete. Es hatte etwas Erhabenes, dass Wesen wie sie erschaffen worden waren, auch wenn ihre besten Zeiten vielleicht schon vorbei waren.
    Ins allgemeine Schweigen hinein fragte Laura: «Wenn Sie unsterblich sind, Margon, wie konnten dann Marrok und Reynolds Wagner sterben?»
    «Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass ich anders bin als die anderen unserer Art», sagte Margon. «Wenn man uns den Kopf abtrennt oder unser Gehirn zerstört, sterben wir wie diese beiden. Ich vermutlich auch.»
    «Und wem haben Sie dann das Chrisam als Erstem weitergegeben, als Sie die Insel verließen?», fragte Laura.
    «Sein Name tut nichts zur Sache», sagte Margon. «Und es ist aus Versehen geschehen, wie so oft. Mir war völlig unklar, dass ich mir den ersten Gefährten erschuf, der mich lange begleiten sollte. Aber ich will euch verraten, was das Beste daran ist, ein neues Morphenkind zu erschaffen: Es lässt euch die göttliche Wahrheit spüren, klarer als in all euren Gebeten oder Grübeleien. Selbst Margon, der Gottlose, begegnet Gott in jeder neuen Generation.»
    «Ich verstehe», sagte Laura und lächelte.
    Margon wandte sich an Reuben. «Leider kann ich Ihnen nicht das moralische Rüstzeug geben, das Sie so verzweifelt suchen.»
    «Ich glaube, da irren Sie sich», sagte Reuben. «Ich glaube, Sie haben es schon getan.»
    Dann fragte Margon Stuart: «Und du? Was geht dir durch den Kopf?»
    «Die tollsten Sachen», sagte Stuart und grinste. «Verbindungen zu schaffen und alle Daseinsformen zu schätzen … das ist … danach habe ich mich immer gesehnt. Jetzt brauche ich mich nicht mehr zu schämen. Das ist toll!»
    Margon nickte ihm ermutigend zu. Dann sagte er: «Eine Frage hat noch keiner von euch gestellt: warum wir einander nicht riechen können.»
    «Hey, stimmt», sagte Stuart überrascht. «Ich rieche euch nicht. Auch Sergej habe ich nicht gerochen, als er in Wolfsgestalt hier war.»
    «Woran liegt das?», fragte Reuben und erinnerte sich daran, dass er an Marrok weder einen Eigengeruch noch das Böse hatte riechen können.
    «Ich vermute, es liegt daran, dass ihr weder gut noch böse seid», sagte Laura. «Weder Mensch noch Tier.»
    Margon nickte nur.
    «Echt ärgerlich», sagte Stuart und sah Reuben an. «Deswegen hatten Sie es so schwer, mich zu finden.»
    «Stimmt», sagte Reuben. «Aber ich habe dich gefunden. Es muss zahllose Signale gegeben haben, an denen ich mich orientieren konnte. Zum Beispiel habe ich dich weinen gehört.»
    Margon bot keine weitere Erklärung an, sondern sagte nur: «Für heute habe ich euch genug von mir erzählt.»
    «Aber Sie haben doch gerade erst angefangen», protestierte Stuart. «Los, Reuben, unterstützen Sie mich! Sie wollen doch auch mehr wissen!» Er sah Margon auffordernd an. «Sagen Sie uns wenigstens, wie Sie das Chrisam zum ersten Mal weitergegeben haben!»
    «Das lasst ihr euch am besten von dem
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