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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde
Autoren: Kai Meyer
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hielt er Glas und Tuch in Händen, ohne in seiner Arbeit fortzufahren.
    Mein Magen bäumte sich auf wie eine gemarterte Stute. Ich lehnte ab, ging wieder nach oben, wusch und frisierte mich.
    Erst dann machte ich mich erneut auf den Weg. Unterwegs kaufte ich an einem Marktstand ein paar Herbstrosen und ließ sie zu zwei kleinen Sträußen binden.
    Derart bestückt trat ich an die Hintertür des Bäckerhauses, klopfte, wartete höflich, bis Gertruds Schritte hinter dem Holz ertönten.
    »Wer da?«
    »Clemens Brentano, Frau Emmerick. Ich wünsche einen guten Morgen.«
    Im Fenster der nahen Backstube erschien das mehlbestäubte Gesicht eines Lehrjungen, nur um gleich darauf am Ohr zurückgerissen zu werden.
    »Ich darf Sie nicht einlassen«, knurrte Gertrud abweisend.
    »Sagt das der Pater?«
    »Verschwinden Sie.«
    »Ich bringe Blumen.«
    »Meine Schwester verabscheut Geschenke.«
    »Nicht für Ihre Schwester. Für Sie!« Dabei beeilte ich mich mit flinken Fingern, aus den beiden kleinen Sträußen einen großen zu machen.
    Die Hintertür wurde einen Spaltbreit geöffnet. »Die sind für mich?« Das Haar der Frau war zerzaust, als wäre sie eben erst aus dem Bett gestiegen. Ich war sicher, daß ihr niemals zuvor jemand Rosen geschenkt hatte.
    Ich trug mein einnehmendstes Lächeln zur Schau und hielt ihr den Strauß entgegen. »Frisch geschnitten.« Nicht einmal diese Lüge durchschaute sie. Heilige Einfalt! »Darf ich jetzt hereinkommen?«
    Sie blickte an mir vorbei in den Hof. Als sie dort niemanden entdeckte, zog sie hastig die Tür auf. »Hat Sie irgendwer gesehen?«
    »Keine Menschenseele«, log ich mit Verschwörermiene.
    Einen Augenblick später stand ich mit ihr am Fuß der Wendeltreppe. Unbewußt versperrte sie mir den Weg nach oben. Immer noch ein wenig fassungslos betrachtete sie das Blumengebinde.
    »Sie sollten sie ins Wasser stellen«, sagte ich.
    »O ja, gewiß.« Trotzdem blieb sie stehen und roch der Reihe nach an jeder einzelnen Rose.
    »Pater Limberg darf nichts von meinem Besuch erfahren.«
    Sie starrte mich an, als hätte ich eine unglaubliche Dummheit von mir gegeben. »Natürlich nicht.«
    Mit einemmal bedauerte ich dieses schlichte Geschöpf. »Was würde geschehen, wenn er doch davon hört? Müßten Sie dann um Ihre Stellung fürchten?«
    Sie stieß ein wieherndes Lachen aus, das sie keineswegs liebreizender machte. Trotzdem war ich erstaunt, wie sehr ihre blauen Augen denen ihrer Schwester glichen. »Der Pater würde mich niemals rauswerfen.« Sie kicherte wie ein kleines Mädchen. »Er hält mich für eine Prüfung, die der Herr Katharina auferlegt hat.«
    »Sie nennen Sie Katharina?« fragte ich und hoffte, sie würde allmählich den Treppenaufgang freigeben.
    »So haben meine Eltern sie gerufen. Aber sie hat diesen Namen nie gemocht.«
    Ich dachte: Bestimmt ein guter Grund für dich, sie so zu nennen, du Hexe!
    Womit nur hatte Anna den Haß ihrer Schwester auf sich gezogen? Die Antwort gab ich mir selbst: Allein durch die Aufmerksamkeit, die alle Welt ihr schenkte. Dabei wäre Anna ohne all den Trubel fraglos glücklicher gewesen.
    »Darf ich jetzt zu ihr?« fragte ich vorsichtig.
    Gertrud grinste breit. »Der Abbé war schon in der Frühe hier, der Doktor kommt erst gegen zwei und Pater Limberg sogar noch später. So lange können Sie bleiben.«
    Ich hoffte, mein Lächeln wirkte trotz meiner Kopfschmerzen aufrichtig. »Ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet, Madame.«
    Beschämt blickte sie zu Boden, dann tänzelte sie unbeholfen wie ein übergewichtiges Kind beim Ballettunterricht davon.
    Schnell, bevor sie ihre Meinung ändern konnte, eilte ich die Stufen zur ersten Etage hinauf und klopfte an Annas Tür.
    »Sind Sie’s, Pilger?« fragte sie von innen.
    Hatte sie meine Stimme im Treppenhaus gehört? Ich öffnete vorsichtig und trat zögernd ein.
    Sie saß unverändert in ihrer Korbkrippe, den Rücken gegen ein Polster aus Kissen gelehnt. »Schließen Sie die Tür, bitte.«
    Ich trat bis auf zwei Schritte an ihr Bett. »Ich will nicht stören, aber…«
    Neben ihr auf dem Kopfkissen saß eine Lerche und putzte gelassen ihr Gefieder. Ein zweiter Vogel hockte auf dem Fensterbrett. Das Fenster war geöffnet, doch keines der beiden Tiere machte Anstalten davonzufliegen.
    Anna zog eine bandagierte Hand unter der Bettdecke hervor.
    Ein gequälter Ausdruck flimmerte über ihre Züge, als bereite ihr sogar diese winzige Bewegung Schmerzen. Langsam streckte sie den Zeigefinger aus. Sogleich
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