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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde
Autoren: Kai Meyer
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ein Geist, kein Mensch! Du kannst Dinge aussprechen, die das innerste Wesen des anderen zerreißen.
    Deine Zunge sagt oft Worte, von denen dein Herz und dein Verstand nichts wissen können, die auch das nicht verschonen, was du selbst als das Heiligste erkennst.«
    Liebe, kluge Sophie! Sie hatte immer recht gehabt, in allem, was sie sagte. Heute war mir das bewußt.
    Und wie anders war sie doch gewesen als Auguste, die ich Jahre darauf zur zweiten Frau genommen hatte. Auguste war gebildet, von hohem Geist und Witz. Zugleich aber suchte sie in der romantischen Bewegung jener Tage eine Befreiung aus den Zwängen des Frauseins. Erst suchte sie in der Dichterei, dann bei einem Dichter! Unsere Liebe hielt nur wenige Monate, dann trieb Auguste mich mit ihrer Hysterie fast in den Wahnsinn. Ich verließ sie, tauchte bei Freunden unter. Lange sahen wir nichts voneinander, bis unsere Ehe vor vier Jahren durch Tinte und Siegel geschieden wurde.
    Aber ich mag es nicht, ein Leben wie die Ziffern einer Gleichung aufzureihen. Die Mathematik des Schicksals macht mir angst. Ihre Ergebnisse erschrecken mich mit ihrer Logik.
    Denn was kann die Addition von zweifachem Unglück schon ergeben, außer einen gebrochenen Menschen?

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    4
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    Zu später Stunde klopfte es an meiner Tür. Müde taumelte ich durchs Zimmer. Ich war in voller Bekleidung auf dem Bett eingeschlafen. Seit Tagen schon fühlte ich mich schwach und unausgeruht. Vielleicht war eine Grippe im Anzug.
    Draußen stand ein Mann, kleiner als ich selbst und von schwerer Statur. Er trug einen schwarzen Priesterrock, darunter dunkle Hosen.
    »Sie sind Brentano?« fragte er ohne Begrüßung.
    »Wer möchte das wissen?«
    »Darf ich eintreten?«
    Ohne Antwort machte ich einen Schritt zur Seite. »Ich habe Ihren Besuch bereits erwartet, Pater Limberg.« Wer sonst hatte Grund, mir derart barsch entgegenzutreten?
    Einen Augenblick lang schien er irritiert, doch er fing sich geschwind. »Sie waren heute bei Schwester Anna, Herr Brentano.«
    »Das ist wahr. Wollen Sie sich nicht setzen?« Ich deutete auf den einzigen Stuhl im Zimmer. Limberg lehnte mit einer fahrigen Handbewegung ab.
    »Sie haben Schwester Annas Gastfreundschaft beleidigt«, schleuderte er mir ohne Vorwarnung entgegen.
    Nach allem, was mein Bruder mir von Limberg berichtet hatte, war voraussehbar gewesen, daß es ihm mißfallen mußte, einen Religionslosen an der Bettkante seiner Schutzbefohlenen zu wissen. An eine Beleidigung aber konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern.
    »Bitte, erklären Sie, was Sie meinen«, bat ich ihn, immer noch höflich.
    »Als ob Sie das nicht ganz genau wüßten.«
    »Verzeihen Sie«, entgegnete ich, nun schon eine Spur schärfer, »aber ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Wenn Sie also eine Erklärung in Betracht ziehen könnten, so…«
    »Sie haben sich Schwester Annas Vertrauen erschlichen.«
    »Wer sagt das? Wesener?«
    »Es braucht keinen Doktor, um die Verfassung zu durchschauen, in der Sie die arme Frau zurückgelassen haben.«
    »Was meinen Sie?«
    Pater Limberg machte einen Schritt auf mich zu und setzte mir drohend seinen Zeigefinger auf die Brust. Einen Augenblick lang spürte ich Zweifel an mir selbst, doch dann kehrte meine Selbstsicherheit zurück. Ich war mir keiner Schuld bewußt.
    »Schwester Anna wünscht, Sie wiederzusehen«, preßte er wütend hervor.
    »Und das nennen Sie eine Verfassung?«
    »Wie würden Sie es sonst nennen – bei einer Nonne?«
    »Liebe Güte! Sie sagte, sie hätte von mir geträumt. Das ist nicht meine Schuld.«
    Limberg schaute sich im Zimmer um, zählte im stillen die Hemden auf dem Ankleidetisch. »Sie wollen doch nicht länger bleiben?«
    »Vielleicht eine Woche.« Tatsächlich war das nie mein Plan gewesen, aber es gefiel mir mitanzusehen, wie bleich der jähzornige Pater mit einemmal wurde.
    »Sie werden Schwester Anna nicht wiedersehen.«
    »Was bereitet Ihnen dabei denn nur solche Sorgen?«
    »Die Angelegenheit ist viel zu ernst und mit viel zu großem Leid verbunden, um sie von einem wie Ihnen in den Dreck ziehen zu lassen.«
    Ungeduldig wandte ich mich ab und ging einige Schritte im Raum auf und ab. »Ich habe bereits dem Doktor erklärt, daß ich keiner Kommission angehöre und es mir auch sonst kein Anliegen ist, irgendwelche Eröffnungen über Schwester Anna zu verbreiten.«
    »Sie haben es allein der Fürsprache Ihres Bruders zu verdanken, daß Sie überhaupt mit ihr sprechen konnten. Ich hielt ihn für einen Mann mit
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