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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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auf die geringe Menschen alles über die Höhergestellten wissen, erfuhr die Alte, daß Mayli von jenseits der Wasser zurückgekehrt sei, und so tauchte sie eines Tages auf und sagte Mayli, wer sie war. Gleichzeitig erzählte sie so genaue Dinge von Maylis Mutter, daß sie sich als diejenige auswies, die einst Maylis Amme gewesen. Auch sie war Mohammedanerin – andernfalls hätte sie das Kind Mayli niemals stillen dürfen –, und es brachte öfters Unbequemlichkeiten mit sich, wenn sie auf Bräuche und Ernährungsweisen Wert legte, welche für Mayli, die, weit entfernt von solchen Sitten, im Ausland aufgewachsen war, gar nichts bedeuteten.
    »Deine tote Mutter gab es meiner Seele ein, zu dir zu kommen«, sagte nun die alte Liu Ma. »Ich fühlte, wie ihr Geist die Bettvorhänge bewegte, und ich wußte, daß sie es war, weil ich die Kassienblüten roch, die sie stets im Haar trug.«
    »Mein Vater liebt Kassien noch immer«, bemerkte Mayli.
    Einer der Gründe, warum sie die Alte um sich wünschte, war der, daß sie von ihr vielleicht alle diese kleinen Geschichten über die Mutter hören konnte, die bei ihrer Geburt gestorben war.
    »Glaubst du, daß du mir etwas berichten kannst, das ich nicht schon weiß?« gab die Alte zurück. »Was deiner Mutter widerfuhr, widerfuhr auch mir. Ich habe nichts vergessen. Komm jetzt und iß.«
    Sie ergriff Maylis Rechte mit ihrer trockenen, alten Hand und zog sie durch die Tür in den Wohnraum des Hauses, in dem Mayli mit dieser alten Frau allein lebte. »Setz dich«, befahl sie; und als Mayli sich niedergelassen hatte, brachte sie eine Kupferschüssel mit heißem Wasser und ein kleines weißes Handtuch zum Händewaschen. Während sie sich auf diese Weise beschäftigte, brummelte sie die ganze Zeit vor sich hin.
    »Ich werde das Schweinefleisch den Straßenhunden vorwerfen. Es ist ja auch Hundefutter. Aber diese große Rübe von einem Soldaten, den du für deinen Pflegebruder ausgibst … Wahrhaftig, nur in solchen Zeiten wie heute, wo alle Leute den Verstand verloren haben, hat ein junges Mädchen einen Pflegebruder! Ein Bruder oder gar nichts – was ist ein Pflegebruder anderes als ein Mann, und was hast du mit einem Mann zu tun, der nicht dein Bruder ist? Es verdirbt den Ruf dieses Hauses, wenn man einen großen Soldaten den Kopf beugen sieht, um durchs Tor zu treten. Ich lüge für dich, aber können Lügen abstreiten, daß er hier ist, wenn jedermann auf der Straße ihn hereinkommen sieht? Die alte Hexe im Heißwasserladen nebenan sagte: ›Ich sehe, daß dein Herr wieder daheim ist.‹ Und wie kann ich ihr erklären, daß er nicht mein Herr ist, wenn sie ihn durch unser Tor hereinkommen sieht?«
    Zu solchen Reden, von denen die Alte jeden Tag überfloß wie ein tropfender Brunnen von Wasser, sagte Mayli nichts. Sie lächelte, glättete ihre dunklen Haare mit der schmalen, blassen Hand, setzte sich an den Tisch im Wohnraum des Hauses und aß tüchtig von dem Lammfleisch, dem Reis und dem Kohl, die aufgetragen waren, während die Alte sie umkreiste, den Tee heiß hielt, ihr beim Essen zusah und andauernd schwatzte.
    Plötzlich aber unterbrach Mayli das Gebrummel mit einem blitzenden, mutwilligen Blick. Sie hatte gut gegessen, aber sie legte die Eßstäbchen noch nicht nieder. »Wo ist das Schweinefleisch, Liu Ma?« fragte sie.
    »Es ist in der Küche und wartet darauf, daß ich es den Hunden vorwerfe«, lautete die Antwort.
    »Gib es mir. Ich bin noch immer hungrig.«
    Liu Ma riß ihre alten Augen auf und schob die Unterlippe vor. »Ich werde es dir nicht geben, und das weißt du ganz genau, du Arge«, entgegnete sie mit erhobener Stimme. »Ich würde dich eher mit eigenen Händen Hungers sterben lassen, als dir solch garstiges Fleisch geben.«
    »Aber wenn Sheng wie so oft schon über Mittag bei mir geblieben wäre, dann hätte ich das Schweinefleisch gegessen.«
    »Ich kenne meinen Platz stets«, erklärte Liu Ma. »Natürlich hätte ich dann nur gewartet, um dich unter vier Augen zu schelten.«
    »Oh, du alte Närrin«, lachte Mayli. Sie stand auf und huschte an der Alten vorbei in die Küche, wo auf einer Ecke des Eisenherds die Schüssel mit dem Schweinefleisch und den Kastanien stand, sehr heiß und wohlriechend. »Das sieht nicht aus wie ein Gericht, das man den Hunden vorwerfen will«, sagte Mayli, in deren Augen noch immer Mutwille blitzte. »Es sieht aus wie ein Gericht, das eine alte Frau zur Seite gestellt hat, um es selber zu essen.«
    »Oh, wie wünschte ich,
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