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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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setzte sich rasch an die rechte Seite des Tisches; er lachte vor sich hin. Liu Ma stolperte, sich die Augen reibend, über die Schwelle.
    »Wie seid Ihr hereingelangt, großer Soldat?« fragte sie mürrisch. »Ich schwöre, daß ich Euch nicht hereinkommen sah.«
    »Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch verrate, daß ich einen Zauberdolch habe?« gab er zurück, um sie zu foppen. »Ich trage ihn in meinem Gürtel, und wenn ich ›Klein!‹ rufe, bin ich so klein, daß ich mich in einem Staubteilchen über die Mauer wehen lassen kann, und wenn ich ›Groß!‹ befehle, blase ich mich wie Westwind über die Mauer.« Dies sagte er, weil er wußte, daß die Frau von den wandernden Märchenerzählern oft Geschichten von solchen Zauberdolchen gehört haben mußte.
    Aber sie schob die Unterlippe vor und machte keine Miene zu lächeln. »Wir sollten einen besseren Wachhund haben«, erklärte sie. »Dieser Hund ist nur ein Schoßhündchen, und er taugt zum Bellen nicht mehr als eine Katze, wenn ein Dieb sich hereinschleicht.«
    »Scheltet den Hund nicht, gute Mutter«, rief er hinter ihr drein.
    Inzwischen hatte die Alte den Raum verlassen und sich in die Küche begeben, um heißes Wasser für Tee zu bereiten. Der kleine Hund kam schwanzwedelnd herein, und Sheng beugte sich vor und zog ihn an den langen Ohren. Er war nichts als ein Spielzeug, dieses kleine Geschöpf, zurückgelassen von irgendeiner Herrin, die aus der Stadt geflüchtet war, als im vergangenen Jahr die feindlichen Bomben niedergefallen waren. Sheng war an solche Stadthündchen nicht gewöhnt. Er kannte nur Dorfhunde, deren Vorfahren Wölfe gewesen und die in ihrer Wildheit gegenüber Fremden noch wie Wölfe waren. Solch einen Hund hatte es in seines Vaters Haus gegeben; wenn ein Fremder kam, mußte er als Kind oft den Hund an den Nackenhaaren zurückhalten, weil das Tier sonst dem Fremden an die Kehle gesprungen wäre. Aber jetzt gab es von diesen Hunden nicht mehr viele. Die feindlichen Steuereinnehmer und Soldaten, die in die Dörfer kamen, um zu rauben und zu plündern, töteten als erstes immer die Hunde, die sie so tapfer ansprangen.
    »Von was für einem Nutzen bist du?« fragte Sheng den kleinen Hund, dessen große braunen Augen wie dunkle Glaskugeln aus dem Gesichtchen vorstanden und dessen Leib zitterte. Als er Shengs Stimme vernahm, hob er eine Pfote und berührte behutsam den Fuß des Mannes; dann rümpfte er die Nase, schnüffelte an ihm und schrak zurück. Sheng brach in lautes Lachen aus, und in diesem Augenblick öffnete Mayli die Tür. Sie hatte ein apfelgrünes Kleid angezogen, und ihre Haare waren jetzt im Nacken aufgerollt. An ihrem Finger steckte ein Ring aus grünem Jade.
    »Warum lachst du über das Hündchen?« fragte sie.
    »Ich bin ihm zu stark«, erwiderte Sheng. »Es roch an mir und zog sich erschrocken zurück.«
    »Es ist ein kluger kleiner Hund«, erklärte Mayli.
    Sie kam herein, nahm das kleine Geschöpf auf und ließ sich nieder, wobei sie den Hund auf ihre Knie setzte. Sheng sah ihr zu.
    »Warum hältst du den Hund, als wäre er ein Kind?« erkundigte er sich. »Das gehört sich nicht.«
    »Warum soll ich es nicht tun?« gab sie zurück. »Er ist sauber – ich habe ihn erst gestern gewaschen.«
    »Das auch noch! Einen Hund zu waschen, als ob er ein Kind wäre! Die Haare sträuben sich mir, wenn ich daran denke. Ein Tier zu behandeln, als wäre es ein Mensch – ist das anständig?«
    »Es ist ein nettes Hündchen«, entgegnete Mayli, indem sie das Tier liebkoste. »Nachts schläft es auf meinem Bett.«
    »Das ist das allerschlimmste!« rief Sheng ungeduldig.
    Mayli hörte nicht auf, die seidenweichen Haare des Hundes, der sich auf ihren Knien kuschelte, zu streicheln. »Du solltest einmal die ausländischen Damen sehen«, lächelte sie. »Wie die ihre Hunde lieben! Sie führen sie an Ketten, und sie ziehen ihnen Mäntelchen an, wenn es kalt ist …«
    Sheng ließ ein lautes Schnauben hören. »Ich weiß, daß du den Ausländerinnen alles nachmachst«, sagte er. »Aber von alldem widert mich diese Liebe zu einem Hund am meisten an.«
    Während des Sprechens sprang er unvermittelt von seinem Stuhl auf, und bevor sie Zeit hatte, zu erfassen, was er tat, hatte er im Nu den Hund von ihrem Schoß genommen und ihn quer durch den Raum und durch die Tür in den kleinen Teich inmitten des Hofes geschleudert.
    »O du … du Tier … selber ein Tier!« schrie Mayli. Sie lief in den Hof hinaus und holte das tropfnasse, jaulende
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