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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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nachzustarren und über seine Größe zu staunen. Weil er aber so groß war, eignete er sich um so besser zum Führer seiner Kameraden.
    Wäre er jedoch dumm oder schüchtern gewesen, welchen Wert hätte dann seine Größe für ihn gehabt? Er wäre nur ein größerer Tonklumpen gewesen. Aber er zeichnete sich durch Klugheit und Kühnheit aus, er lernte fleißig und gehorchte zuverlässig, solange er lernte. Als er dann andere unterwies, sah er darauf, daß man auch ihm gehorchte, und obwohl alle seine Leute ihn liebten, fürchteten sie ihn doch auch, und so sollen die Menschen sich demjenigen gegenüber verhalten, der sie anführt.
    Außerdem gab es noch einen Grund, warum er so rasch zum Kommandanten aufgerückt war. Er hatte sich in diesem Krieg wohlbewährt. In den acht Monaten des Jahres hatte sich der Krieg an mancherlei neuen Stätten abgespielt, und Sheng hatte während des ganzen Feldzugs stets seinen Mann gestellt. Er war auch immer mit dem Leben davongekommen, hatte nur geringfügige Verletzungen davongetragen, und so war er, wenn seine Vorgesetzten fielen, schnell befördert worden. Bei der großen Schlacht von Long Sands, im neunten Monat, war er es dann gewesen, der seine Leute und die eines gefallenen Offiziers dazu brachte, den letzten Gegner aus der Stadt zu treiben. Hinter dem jungen Riesen sammelten sich die Soldaten und folgten ihm mit frischem Mut; er war so groß, daß er sie alle überragte und immer zuvorderst gesehen werden konnte. Als die Schlacht schließlich gewonnen war, sandten die überlebenden Soldaten an jenem Tag einen Boten zum General mit der Bitte, ihnen Sheng als Führer zu geben. Dieser Wunsch wurde bewilligt, und die Soldaten kamen, mit Sheng an der Spitze, zusammen mit andern in die Division, die berühmt war für ihre Tapferkeit. Und der General war so stolz auf sie, daß er ihnen von allem das Beste zukommen ließ, das beste Essen, die besten Gewehre.
    Was Sheng betraf, so lernte er sich die Haare so kurz schneiden wie sein General; er hielt sich sauber und trug eine Uniform, die zwar nicht besser war als die seiner Soldaten, denn alle waren gleich gekleidet, doch weitaus besser als die zerlumpten Kleider, die er in den Bergen getragen hatte.
    Und überdies war da auch noch Mayli. Mayli hatte die Mühe auf sich genommen, die Bekanntschaft des Generals zu machen und hin und wieder für Sheng ein gutes Wort einzulegen; lachend, halb im Scherz hatte sie von ihm gesprochen, so daß niemand meinen konnte, es bedeute etwas für sie, ob dieser große Bursche lebte oder starb. Aber sie lobte ihn manchmal, wenn sie sicher war, daß der General zuhörte, und sie erzählte ihm von Shengs tapferen Taten in den Bergen.
    »Ich komme von der Stadt, in deren Nähe er gelebt hat«, berichtete sie dem General. »Dort ist er berühmt für seine Stärke und Tapferkeit. Wirklich, man sagt dort, daß er eine ganze Schar von Feinden mit seinen beiden Händen und einem alten Gewehr allein fangen könnte. Und von seiner Geschicklichkeit im Überrumpeln redete die ganze Gegend, und die Kinder und die einfachen Leute sangen in den Straßen Lieder auf ihn.«
    Dies entsprach der Wahrheit, und sie sang eines der Lieder, die sie in den Straßen von Nanking gehört hatte.
    In den Bergen haust ein Drache,
Er schläft bei Tag, er jagt bei Nacht.
Er nährt sich gut
Von Feindes Blut,
Er siegt in jeder Schlacht.
    Der General lachte über das ungeschliffene Lied, aber als seine Augen das nächste Mal auf Sheng fielen, erinnerte er sich daran, und es ließ ihn von dem großen jungen Kriegsmann noch besser denken.
    Freilich hatte Mayli auch mit Shengs neuem Aussehen etwas zu tun. Ihr Lachen bewirkte, daß er beschloß, seine Äußeres zu ändern, obwohl er sich gleichzeitig ihren Wünschen widersetzte. Er schwor ihr, daß er bleiben würde, wie er war, und daß nichts dagegen zu tun sei, wenn sie ihn nicht liebte, wie er eben war. Aber als sie ihn immer wieder abwies, nahm er doch die Wandlung vor, die sie wünschte, und sie war klug genug, beim nächsten Wiedersehen nicht davon zu sprechen und sich den Anschein zu geben, als bemerkte sie nichts davon, so daß er meinte, sie habe es vergessen. Doch war sie jedesmal, wenn er tat, was sie wollte, etwas freundlicher zu ihm.
    Und doch wußte sie, daß sie ihn niemals beherrschen könnte. Er liebte sie und sprach ihr von seiner Liebe, aber sie wußte, daß er sie niemals mehr lieben würde als alles übrige. Gleichwohl wußte sie auch, daß sie ihn mehr lieben mußte
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