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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18
Autoren: Émile Zola
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wahrheitsgetreue künstlerische Widerspiegelung der ergriffenen Wirklichkeit im Geschehen und in der Handlung seiner Romane gegenüber, in denen der gesellschaftliche Kausalnexus meist viel tief er auf gedeckt wird, als ihn Zola subjektiv zu erfassen vermag. Und auf diesen ins Bild gesetzten, zu dramatischen Konflikten komprimierten, der Gesellschaft seiner Zeit entnommenen Stoffen, den ihrer Problematik abgelauschten Themen und deren ästhetischer Aufarbeitung beruht letztlich die Wirkung und der bleibende Wert von Zolas Romanen. Bouviers Buch hat den Krach der Union mit großer Akribie, exakt in allen wesentlichen Zusammenhängen und ökonomischen Details dargestellt, und man wird es mit Interesse und Gewinn lesen. Aber so, daß man den Atem anhält und gleichsam mitsetzt in dem Spiel von Hausse und Baisse der Börsenschlachten, daß einem die Ohrendröhnen von dem tosenden Lärm und den aufgeregten Schreien, daß man die verzerrten Gesichter sieht, die schwitzenden Leiber riecht, die Erregung spürt und gleichsam mittendrin steht, so miterleben kann man die gleichen Vorgänge nur in einem Kunstwerk. Allerdings nicht in jedem. Über den Krach der Union sind viele Romane geschrieben worden. Sie sind heute längst vergessen. Zolas Roman ist geblieben. Warum? Goethe hat einmal gesagt: »Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten.«
    Zola besaß dieses Geheimnis. Dabei ist ihm die Ausarbeitung seiner Romane keineswegs leichtgefallen. »Dieser Roman hat mir eine schreckliche Mühe gemacht«, schreibt er kurz vor der Fertigstellung an Van Santen Kolff (16. Januar 1891). Wie immer hat er geglaubt, in der Fülle des Stoffes zu ertrinken. »Das wird sicher das komplizierteste und vollgestopfteste von all meinen Büchern«, klagt er dem gleichen Briefpartner gegenüber mitten in der Ausarbeitung. Dieser Satz erinnert fast wörtlich an seine Klage gelegentlich der Ausarbeitung der »Erde«. Wenn Zola beim Sammeln und Konzipieren ist und im Anfang der Ausarbeitung steckt, droht die Fülle des Materials fast jedesmal über ihm zusammenzuschlagen. Stets fällt es ihm schwer, diese Etappe des Schaffensprozesses, der Herauskristallisierung der künstlerischen Idee aus Stoff und Thema und damit des Gestaltungsprozesses der Handlung zu durchlaufen. Und wie so oft ist dieser Prozeß auch hier gleichsam spiralförmig erfolgt, wobei die gleichen Fragen sich auf den verschiedenen Stufen wiederholen und im Verlauf dieses Denkprozesses sich die ursprüngliche Konzeption in den einzelnen Phasen wechselseitig korrigiert.
    Diesmal hatte sich Zola vor allem vorgenommen, ermüdende Längen und Beschreibungen, die so nahelagen bei diesem Komplex, zu vermeiden. Er selbst bezieht sich auf das Vorbild des Romans »Ein feines Haus«. »Das ist in der Art von ›Ein feines Haus‹ gebaut: viele Episoden, viele Personen, aber weniger Ironie, mehr Leidenschaft und, wie ich glaube, ein solideres Ganzes.« (Brief an Van Santen Kolff vom 9. Juli 1890.) Tatsächlich gelingt es ihm auch mit der Episodentechnik, den überwiegenden Teil der Darstellung unmittelbar in Handlung umzusetzen und zugleich diese Episoden über die verschiedensten Vermittlungen mit der Zentralfigur zu verbinden und dem Ganzen eine an den strengen Aufbau einer klassischen Tragödie gemahnende Komposition – mit Exposition, fördernden und retardierenden Momenten, Schürzung des Knotens, Höhepunkt der Katastrophe – zu geben. Einzelne Szenen, wie die Gesprächsrunde der drei Männer – Saccard, Huret, Jantrou – im Büro der »Espérance« oder die Szene von dem gehörnten Liebhaber, in der Saccard und Delcambre wegen der Baronin Sandorff aneinandergeraten, sind fast in sich gerundete Einakter oder Novellen. Die Szene mit dem gehörnten Liebhaber könnte ebensogut bei Boccaccio stehen. Und diese Wirkung beruht nicht zuletzt darauf, daß Zola auch die den jeweiligen Vorgängen angemessene Sprache gefunden hat. Wenn Dejoie Saccard seine Lebensgeschichte erzählt, kommen seine Sätze stockend und schwerfällig wie bei einem Mann, der im Reden nicht geübt ist. Und wenn Saccard und Delcambre wie Roßkutscher aneinandergeraten, so reden sie auch wie solche. Aber wenn Caroline über Saccard und die Rolle des Geldes in der modernen Gesellschaft meditiert, dann schwingen die Perioden lang aus und gehen in der Verkündung ihrer Lebensphilosophie in einen fast hymnischen Rhythmus über. Erst durch diese
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