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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18
Autoren: Émile Zola
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aus der Fassung geriet, daß er davonlief, um eine Order zu ändern.
    Angesichts dieser Gleichgültigkeit, die man gegen ihn an den Tag legte, bekam Saccard einen fiebrigen, herausfordernden Blick, den er durch den ganzen Saal schweifen ließ. Doch er tauschte nur noch ein Kopfnicken mit einem großen jungen Mann, der drei Tische weiter saß: der schöne Sabatani, ein Levantiner mit langem, dunklem Gesicht, das wundervolle schwarze Augen erhellten, aber von einem bösen, beunruhigenden Mund entstellt wurde. Die Liebenswürdigkeit dieses Burschen brachte Saccard vollends auf: irgendein von einer ausländischen Börse Ausgeschlossener, einer dieser geheimnisvollen Frauenlieblinge, der im letzten Herbst auf den Markt geschneit war, den er schon als Strohmann bei einem Bankkrach am Werk gesehen hatte und der sich durch große Korrektheit und unermüdliches Wohlwollen, selbst den Verrufensten gegenüber, nach und nach das Vertrauen der Corbeille4 und der Kulisse5 erwarb.
    Ein Kellner blieb vor Saccard stehen.
    »Der Herr wünschen?«
    »Ach ja … Was Sie wollen, ein Kotelett mit Spargel.«
    Dann rief er den Kellner zurück.
    »Sind Sie sicher, daß Herr Huret nicht vor mir gekommen und wieder gegangen ist?«
    »Oh, ganz sicher!«
    So stand es nun mit ihm nach dem Zusammenbruch, der ihn im Oktober wieder einmal gezwungen hatte, seine Geschäfte zu liquidieren, sein Haus am Parc Monceau zu verkaufen und eine Wohnung zu mieten: nur Leute wie Sabatani grüßten ihn noch; bei seinem Eintritt in ein Restaurant, in dem er den Ton angegeben hatte, drehte sich nicht mehr alle Welt nach ihm um, streckten sich nicht mehr alle Hände ihm entgegen. Er war ein richtiger Spieler, er hegte keinen Groll nach diesem letzten skandalösen und unheilvollen Grundstücksgeschäft, aus dem er kaum mehr als die eigene Haut gerettet hatte. Aber ein fieberhaftes Verlangen, Revanche zu nehmen, entbrannte in ihm; Huret hatte ausdrücklich versprochen, gegen elf Uhr hier zu sein, um ihn über die Ergebnisse seiner Bemühungen bei Rougon zu unterrichten, dem damals allmächtigen Minister, und daß Huret nicht da war, brachte Saccard vor allem gegen seinen Bruder Rougon auf. Huret, der gehorsame Abgeordnete, die Kreatur des großen Mannes, war bloß ein Laufbursche. Nur, war es denn möglich, daß Rougon, der alles vermochte, ihn so im Stich ließ? Nie hatte er sich als guter Bruder erwiesen. Daß er nach der Katastrophe verärgert war, daß er offen mit ihm gebrochen hatte, um nicht selber bloßgestellt zu werden, war begreiflich; aber hätte er ihm nicht seit sechs Monaten heimlich zu Hilfe kommen müssen? Und jetzt sollte er die Stirn haben, ihm nicht kräftig unter die Arme zu greifen, wenn er ihn durch einen Dritten darum bitten ließ? Er wagte ja schon nicht, ihn persönlich aufzusuchen, weil er einen Zornesausbruch befürchtete, zu dem er sich möglicherweise hinreißen ließe. Rougon brauchte nur ein Wort zu sagen, dann käme er wieder auf die Beine und könnte diesem feigen, großen Paris von neuem den Fuß auf den Nacken setzen.
    »Welchen Wein wünschen der Herr?« fragte der Weinkellner.
    »Ihren einfachen Bordeaux.«
    Saccard war in Gedanken versunken; er hatte keinen Appetit und ließ sein Kotelett kalt werden. Als er einen Schatten über das Tischtuch gleiten sah, hob er die Augen. Das war Massias, ein dicker, rotgesichtiger Kerl, ein Remisier6, den er als armen Mann gekannt hatte und der sich jetzt, mit seinem Kurszettel in der Hand, zwischen den Tischen hindurchschlängelte. Es traf Saccard schwer, daß Massias nicht stehenblieb, sondern an ihm vorbeiging, um den Kurszettel Moser und Pillerault zu reichen. Zerstreut und in ein angeregtes Gespräch verwickelt, warfen diese kaum einen Blick darauf: nein, sie hätten keine Orders zu erteilen, ein andermal. Massias wagte nicht, den berühmten Amadieu anzugehen, der, über einen Hummersalat gebeugt, leise mit Mazaud plauderte, und trat an Salmon heran, der den Kurszettel nahm, ihn lange studierte und dann wortlos zurückgab. Der Saal belebte sich. Alle Augenblicke gingen die Türen auf, und andere Remisiers kamen herein. Laute Worte flogen zwischen den Tischen hin und her, eine richtige Spekulationswut kam auf, je mehr die Zeit vorrückte. Und Saccard, dessen Blicke unaufhörlich nach draußen schweiften, sah, wie sich auch der Platz nach und nach füllte, wie die Wagen und die Fußgänger herbeiströmten, während sich auf den Stufen zur Börse, die im Sonnenlicht gleißten, schon einzelne
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