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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18
Autoren: Émile Zola
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ganze Elend, wieder auf der Straße zu liegen und weniger zu sein als ein Anfänger, den wenigstens die Illusion und die Hoffnung aufrecht gehalten hätten. Und ein fieberhaftes Verlangen packte ihn, alles von vorn anzufangen, um alles zurückzuerobern, höher zu steigen, als er je gestiegen war, endlich der eroberten Stadt den Fuß auf den Nacken zu setzen. Nicht mehr den lügnerischen Reichtum der Fassade wollte er, sondern das dauerhafte Gebäude des Vermögens, das wahre Königtum des Goldes, das auf vollen Säcken thront!
    Mosers kreischende hohe Stimme, die sich erneut vernehmen ließ, lenkte Saccard einen Augenblick von seinen Überlegungen ab.
    »Die mexikanische Expedition16 kostet im Monat vierzehn Millionen, Thiers17 hat es nachgewiesen … Und man muß wirklich blind sein, um nicht zu sehen, daß in der Kammer die Mehrheit ins Wanken gebracht worden ist. Auf der Linken sitzen jetzt schon mehr als dreißig. Der Kaiser selber begreift sehr wohl, daß die absolute Macht unmöglich wird, denn er macht sich ja zum Verkünder der Freiheit.«
    Pillerault antwortete nicht mehr und begnügte sich mit einem verächtlichen Grinsen.
    »Ja, ja, ich weiß, die Marktlage scheint Ihnen stabil, die Geschäfte gehen. Aber warten Sie nur das Ende ab … Sehen Sie mal, in Paris hat man zu viel abgerissen und zu viel wieder aufgebaut! Die großen Bauten haben die Ersparnisse aufgebraucht. Und was die mächtigen Kreditinstitute betrifft, die Ihnen so blühend vorkommen, so warten Sie ab, bis eines von ihnen zusammenkracht – dann werden Sie sehen, wie alle anderen hinterherpurzeln … Ganz davon zu schweigen, daß das Volk aufbegehrt. Diese Internationale Arbeiterassoziation18, die man jetzt gegründet hat, um die Lage der Arbeiter zu verbessern, erschreckt mich persönlich sehr. Es gibt in Frankreich eine Protestbewegung, eine revolutionäre Stimmung, die von Tag zu Tag zunimmt … Ich sage Ihnen, da ist der Wurm drin. Alles wird zum Teufel gehen.«
    Alle protestierten laut und heftig. Dieser verdammte Moser hatte es ohne Frage wieder mit der Leber. Aber Moser selbst blickte beim Sprechen unverwandt zum Nebentisch, an dem Mazaud und Amadieu in dem ringsum herrschenden Lärm ganz leise weiter plauderten. Allmählich geriet der ganze Saal über diese lang andauernden vertraulichen Gespräche in Unruhe. Was hatten sie sich bloß zu sagen, daß sie so flüsterten? Zweifellos erteilte Amadieu Orders und bereitete einen Coup vor. Seit drei Tagen gingen böse Gerüchte über die Arbeiten am Suezkanal19 um. Moser blinzelte mit den Augen und senkte ebenfalls die Stimme.
    »Sie wissen doch, die Engländer wollen verhindern, daß man dort unten arbeitet. Das könnte leicht Krieg bedeuten.«
    Diesmal war Pillerault durch die Ungeheuerlichkeit der Nachricht selber erschüttert. Das war ja unglaublich, und sogleich flog das Wort von Tisch zu Tisch und erlangte die Kraft einer Gewißheit: England habe ein Ultimatum gestellt und die sofortige Einstellung der Arbeiten am Suezkanal gefordert. Amadieu sprach mit Mazaud offensichtlich nur darüber und erteilte ihm die Order, alle seine Suez-Aktien zu verkaufen. Panisches Stimmengemurmel erfüllte die mit Fettgerüchen geschwängerte Luft inmitten des anschwellenden Tellergeklappers. Die Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als plötzlich ein Gehilfe des Wechselmaklers hereinkam, der kleine Flory, ein Bursche mit zartem Gesicht, das unter einem dichten kastanienbraunen Bart verschwand. Er stürzte zum Chef, übergab ihm einen Packen Zettel, die er in der Hand hatte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Schön!« antwortete Mazaud nur und ordnete die Zettel in sein Handbuch ein.
    Dann zog er seine Uhr.
    »Gleich zwölf! Sagen Sie Berthier, daß er auf mich warten soll. Und seien Sie selbst da, gehen Sie hoch und holen Sie die Depeschen.«
    Als Flory gegangen war, nahm Mazaud sein Gespräch mit Amadieu wieder auf, zog weitere Zettel aus seiner Tasche und legte sie neben seinen Teller auf das Tischtuch; alle Augenblicke beugte sich ein Kunde im Vorbeigehen zu ihm nieder und sagte ihm ein Wort, das er schnell zwischen zwei Bissen auf einen der Zettel schrieb. Die Falschmeldung, die weiß Gott woher gekommen, aus dem Nichts entstanden war, schwoll an wie eine Gewitterwolke.
    »Sie verkaufen, nicht wahr?« fragte Moser Salmon.
    Aber dessen stummes Lächeln war so vielsagend verschmitzt, daß Moser ängstlich blieb und jetzt an diesem englischen Ultimatum zweifelte, von dem er nicht einmal wußte,
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