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Das Geheimnis des toten Fischers

Das Geheimnis des toten Fischers

Titel: Das Geheimnis des toten Fischers
Autoren: Marcia Muller
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Arme
aus. »Ich fahre einen VW-Käfer und für mich sehen alle außer meinem gleich
aus.«
    Ich notierte mir die spärlichen Angaben
über Janes Wagen. »Haben Sie ein Photo von Miss Anthony?«
    Er drehte sich um und deutete auf die
seitliche Wand, die mit Photos bedeckt war. »Das ganz links.«
    Ich ging hinüber. Jane Anthony war eine
Frau um die Dreißig mit kräftigen, energischen Gesichtszügen. Ihr dunkles Haar
war streng nach hinten frisiert, was ihre etwas zu große Nase und das
vorstehende Kinn noch betonte. Es war kein hübsches Gesicht, aber eines, von
dem sehr viel Ausstrahlung ausging, und Snelling war es irgendwie gelungen,
Jane auf dem Photo nicht nur beeindruckend, sondern auch in gewissem Sinne
schön aussehen zu lassen. Nicht unbedingt das, was man von dem Mann erwartete,
der seine Arbeiten als ›Porträts der Wirklichkeit bezeichnete.
    Ich drehte mich um. »Haben Sie einen
Abzug, den ich behalten kann?«
    »Ja, oben.« Er erhob sich und ging auf
die Wendeltreppe zu. »Ich hole ihn.«
    Nachdem er nach oben ins Studio
gegangen war, wandte ich mich wieder der Wand mit den Photos zu und warf einen
Blick auf die anderen. Sie hatten ganz und gar nichts gemein mit den
geschönten, weichen Porträts, wie man sie aus den Schaufenstern der üblichen
Photographen kennt. Statt dessen waren sie scharf beobachtet und unbarmherzig
realistisch — Snellings Markenzeichen! Ich ging zur gegenüberliegenden Wand, wo
ich über einem gemauerten offenen Kamin das gerahmte Photo entdeckte, das ihn
berühmt gemacht hatte.
    Es war meines Wissens noch kein Jahr
her, als Abe Snelling, damals einer von vielen Photoreportern, die in den
Straßen von San Francisco Jagd auf Motive machten, eines Vormittags am Blue Owl
Café vorbeikam, das hier in Potrero Hill und nicht weit vom San Francisco
General Hospital liegt, und beobachtete, wie ein Mann auf die Straße
herausgelaufen kam, verfolgt von dem Besitzer des Restaurants, einem als
freundlich bekannten und in der ganzen Nachbarschaft beliebten Mann. Snelling,
der immer das Ungewöhnliche zu ahnen schien, machte seine Kamera bereit. Die
beiden Männer gerieten in Streit und kämpften miteinander. Ein Schuß wurde
abgefeuert, der Lokalbesitzer stürzte getroffen zu Boden und der Schütze
ergriff die Flucht. Als sich die hinausgeeilte Frau des Lokalbesitzers über
ihren Mann beugte, schoß Snelling ein Photo nach dem anderen von ihrem
entsetzten und schmerzerfüllten Gesicht. Das Photo, das er später an eine der
Boulevardzeitungen verkaufte, wurde von den Nachrichtenmedien übernommen und
bildete schließlich die Titelseite einer Sonderausgabe des Nachrichtenmagazins Time über das Verbrechen in den Großstädten.
    Ein grausiger Anlaß, doch von da an
ging es mit Snellings Karriere steil bergauf, und nun, kaum ein Jahr später,
war er der Starphotograph einer wohlhabenden und berühmten Kundschaft. Die
Gesellschaft war bereit, sich dem unerbittlichen Auge von Snellings Kamera
auszusetzen; vielleicht fand man es zur Abwechslung ›erfrischend‹, einmal ohne
gnädige Retuschen abgelichtet zu werden.
    Ich trat zurück und betrachtete das
Photo aus geringer Entfernung. Es kam mir so vor, als ob der in Weiß gehaltene
Raum die starken Emotionen verwischte, die das Photo auslöste, und anstelle der
leiderfüllten Frau so etwas wie eine Karikatur der menschlichen Kreatur
übrigließe.
    Snelling kam in diesem Augenblick die
Wendeltreppe herunter und reichte mir eine Sieben-mal-zehn-Vergrößerung von
Jane Anthonys Photo. Ich steckte sie in meine Handtasche und sagte dann: »Wenn
es geht, würde ich gern Janes Zimmer sehen.«
    Er nickte und ging mit mir zu einer
weiteren Treppe, die nach unten führte; wie in vielen Häusern in San Francisco,
die auf den Hügeln erbaut waren, befanden sich auch in diesem die Schlafräume
im untersten Geschoß. Janes Zimmer lag am Ende des Korridors. Snelling öffnete
die Tür und ließ mich eintreten.
    Das erste, was mir auffiel, war die
peinliche Ordnung, die in dem Zimmer herrschte. Ich bin selbst ein
ordnungsliebender Mensch — muß es sein, da ich mit all meinen Besitztümern ein
kleines Studio-Apartment bewohne aber dieses Zimmer war untrüglich das eines
Pedanten. Das Doppelbett hätte einer militärischen Inspektion standgehalten;
die Parfümflaschen, Kämme, Bürsten und Handspiegel waren sorgfältig auf der
Frisierkommode ausgerichtet; die Buchrücken in den Regalen standen exakt
nebeneinander und waren obendrein nach der Größe geordnet; der
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