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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Autoren: Annette John
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erkennen können. Aber ich erinnere mich, wie der Turm erbebte. Die Wetterfahne und die Kuppel des Treppenhauses verschwanden, stürzten nach innen in den Turmschacht. Die Außenmauern standen noch einen Augenblick länger, dann brachen auch sie zusammen, und wo der Turm gewesen war, verdunkelten Staubwolken den Himmel.
    Es gelang mir, den Scherenjungen aus seiner Erstarrung zu lösen, und gemeinsam mit Evchen verließen wir das Rosenhaus. Er ging in Richtung Stadt, ich ließ mich von Evchen zu der Stelle führen, wo Jovindas Wagen wartete. Doch bevor ich endgültig das Gelände verließ, grub ich noch die Rose Graviata aus, steckte sie in einen Topf und nahm sie mit. Ich wollte sie nicht zurücklassen, ich fand, ich hätte sie mir verdient. In Castelmar pflanzte ich sie an einen windgeschützten Platz in Jovindas Garten. Es gefiel ihr dort und sie entwickelte sich prächtig. Im Lauf der Jahre wuchs sie zu einer großen Hecke, die die ganze Mauer umrankte. Neben die Rose setzten wir einen Stein, in den wir die Namen der Kinder aus unserem Schwur ritzten, der Kinder, die Clarisse ermordet hatte.
    Einige Jahre lebten wir in Castelmar, am Meer. Es waren schöne Jahre, so schön, wie wir sie uns immer erträumt hatten. Als ich fünfzehn wurde, verließ ich Jovinda und Evchen, um meine Hexenausbildung zu beginnen. Robert blieb bis zu seinem achtzehnten Geburtstag bei ihnen, dann trat er in den Orden der Kleinen Brüder vom Tempel ein und leitete ein Armenhospital. Er wurde nicht alt. Der Schatten auf seiner Seele verschwand nie mehr. Vermutlich war er Clarisses letztes Opfer.
    Nach seinem Tod besuchte ich Jovinda und Evchen nur noch selten. Jovinda war nicht einverstanden mit dem, was ich tat. Es war ihr zu oberflächlich, sie warf mir vor, mein Talent zu vergeuden. Statt den Menschen zu Schönheit und Jugend zu verhelfen, sollte ich ihrer Meinung nach den Hunger, die Seuchen und das Elend der Welt bekämpfen. Immerzu nörgelte sie an mir herum, und als sie dann auch noch beschloss, zu altern, nur um mir eins auszuwischen, trennten sich unsere Wege.
    Viele Jahre lang sahen wir uns überhaupt nicht. Erst als wir beide hier im Wald einzogen, trafen wir uns wieder und auch da beschränkten wir den Kontakt auf das Nötigste. Niemand wusste von unserer gemeinsamen Vergangenheit. Doch das Haus in Castelmar besitzen sie und Evchen immer noch. Ich vermute mal«, sie blinzelte Jovinda zu, »dorthin verschwinden die beiden, wenn ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß wird.«
    Jovinda grinste. »Die Rose blüht noch«, krächzte sie. »Du solltest sie deinen Kindern zeigen.«
    Graviata nickte vage und fuhr fort: »Den Scherenjungen habe ich noch ein einziges Mal wiedergesehen, da war er schon ein Mann in den Vierzigern und führte mit seiner Frau ein bekanntes Restaurant. Ich ging zum Essen hin. Als ich ihm sagte, ich sei die Hexe Graviata, zuckte er erst mit keiner Wimper. Ich dachte schon, er habe die alten Geschichten endgültig begraben und vergessen. Doch da kam er mit einer wunderbaren Flasche Wein und zwei Gläsern an meinen Tisch. Wir erzählten uns unser Leben von da an, wo sich unsere Wege getrennt hatten. Über die alten Geschichten sprachen wir nicht, ich merkte, dass er es nicht wollte. Aber dann fragte ich doch, ich konnte einfach nicht anders, seit Jahren hatte ich drüber gerätselt.
    ›Wie hast du es eigentlich damals geschafft, aus dem Rosenhaus zu entkommen?‹
    Er grinste. Für einen Moment blitzte mir aus seinem gealterten Gesicht der Junge von damals entgegen. ›Das war gut, was? Sie geiferte vor Wut, oder?‹
    ›Geifer ist gar kein Ausdruck‹, nickte ich.
    ›Ich bin mit einer Kutsche abgehauen‹, sagte der ehemalige Scherenjunge, ›mit einer ganz vornehmen. Die königlichen Geschwister hatten sich angekündigt, die Prinzessin und der Prinz. Clarisse war außer sich wegen der großen Ehre. Erinnerst du dich an die paar Tage, als sie verreist war? Sie fuhr zum Schneider und zum Frisör und in den Palast zum Oberhofmeister, um sich in diesen komplizierten Hofbräuchen unterrichten zu lassen. Ich wusste, dass sie mich einsperren würde, seit meinem letzten Fluchtversuch tat sie das immer, wenn Kunden kamen, immer in das gleiche fensterlose Kellerverlies. Außen an der Tür waren drei schwere Eisenriegel. Ich schraubte die Ösen ab und befestigte sie wieder mit winzigen Nägelchen, damit nichts auffiel. Die Riegel hielten überhaupt nichts mehr, und als dann der königliche Besuch da war, brauchte ich
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