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Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Autoren: Dieter Nuhr
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der Straßendecke immer wieder von Neuem verändern. Wenn die Straße aufgerissen ist, wird sie wieder verschlossen. Und umgekehrt. Das Leben ist Wiederkehr und doch: So wie Heraklit meinte, man könne niemals zwei Mal in denselben Fluss steigen, so wird auchder Verkehr in unserer Straße niemals zwei Jahre hintereinander über denselben Asphalt wummern.
    Auch Stein fließt. Schwarz und rauchend ergießt sich die stinkende, erhitzte Masse in die Leere des Raumes, die sich Schlagloch nannte, bis sie sich in einen anderen Aggregatzustand erhob. All dies beruht auf der Kraft des Geistes. Der Geist beschließt und handelt, verändert Raum und Zeit. Der Geist ist es, der weiß, dass ein einmal von der Straßenbaubehörde, dem Landschaftsverband oder der Europäischen Union bewilligter Antrag auf Fördermittel im Bereich Straßenbau nie wieder bewilligt wird, wenn er nicht abgerufen wird. Der Geist ersinnt die Handlung, die aus der Erkenntnis folgt. Geist formt Materie! Großartig!
    Der Geist hat gelernt, das Erz zu schmelzen, erst Eisen zu gießen, dann Bronze und später den Stahl. Er formte aus eisenhaltigem Gestein und ein paar Kunststoffen den Bagger. Es ist der Geist des Baggerfahrers, der den Plänen folgt und Löcher aushebt, Wunden in unseren Planeten schlägt, die – kaum ist das Loch geöffnet, das Grab ausgehoben, der Raum geleert – sofort wieder aufgefüllt werden mit dem, was andere Teile unseres Himmelskörpers zum Füllen hergeben: Sand, Kies, Teer, Asphalt. Dann noch ein Streifen drauf, ein Fahrradweg darauf gepinselt, auf dem niemals ein Fahrrad fahren wird. Fertig. Super!
    Der Wahnsinn des Menschen hinterlässt seine Spuren vor allen Dingen im Straßenbau. Rot-weiße Baken weisen darauf hin, dass alle Planung eitel ist. Aus Kreuzungen werden Kreisverkehre, aus Kreisverkehren wieder Kreuzungen. Ampelanlagen erscheinen und verschwinden, zeigen nachts um vier Uhr dreißig Rot und leuchten das Scheitern aller Ordnung in den Äther. Vanitas! Vanitas!
    07 37
Aufstehen. Wenn du aus den Träumen erwachst, beginnt die Fremdbestimmtheit. Du bist ein Sklave deiner physischen Existenz, des biologistischen Terrors, der uns immer wieder die gleichen Befehle entgegenbrüllt: „Iss! Schlaf! Geh aufs Klo! Beweg dich!“
    Wir unterliegen stetem Zwang. Totaler Terror! Gab es früher Zehn Gebote, besteht heute allein der allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus 240 Paragrafen. Das hätte sich Moses nicht träumen lassen, als er seine zwei Gesetzestafeln vom Berg Sinai hinabschleppte. Lächerlich! Wahrscheinlich hat er aus purer Faulheit darauf verzichtet, die restlichen 300 Seiten auf den Abstieg mitzunehmen: Stein ist schwer!
    Deshalb mussten wir uns die restlichen Gebote selbst erarbeiten, Gesetze wie: Du sollst eine Hose anziehen, wenn der UPS-Mann schellt. Du sollst freundlich gucken. Du sollst drangehen, wenn das Telefon klingelt! Jawohl, mein Herr und Schöpfer! Dein Sklave eilt und fasst dir an den Hörer. Und kein Mensch auf der anderen Seite kommt auf die Idee, du könntest ungehorsam sein und das Gespräch verweigern mit den Worten: „Kein Bock zu sprechen! Verzichten Sie bitte auf weitere Belästigungen!“
    Alle fordern! Nicht nur Menschen, auch Dinge! Die Salami fordert, in Frischhaltefolie gelegt zu werden, ansonsten sei frühzeitige Verwesung unvermeidbar. Das Auto verlangt nach Nahrung, will zur Tankstelle und droht bei Nichtbeachtung seines Willens mit Arbeitsverweigerung. Der Kühlschrank knurrt und will gefüllt sein.
    Auch die Einzelteile der eigenen körperlichen Erscheinung erfordern Aufmerksamkeit. Die Haare liegennach dem Aufstehen wie ein zersplitterter Sturzhelm nach schwerem Unfall, auf dem sich Motoröl verteilt hat. Die Frisur liegt teilweise glatt an den Schädel gepresst, andererseits winklig abstehend wie gesplissener, glänzender Kunststoff. Der Magen fordert etwas zum Verdauen und sendet fordernd muffige Gerüche in die Rachengegend, säuerlich. Die Lunge bettelt nach Frischluft, der Blutdruck nimmt Fahrt auf, und der Darm will sich entleeren. Deswegen sollen die Beine laufen, hin und her, das eine links, das andere rechts, immer abwechselnd, genau koordiniert, sonst fällt man auf die Fresse. Das Leben erfordert stete aufwändige Bewegungsabläufe. Was für ein komplexes Anforderungsprofil!
    Gott sei Dank haben wir ein Hirn, das diese Aufgaben bereitwillig übernimmt! Es ist der große Regulator, die Leitstelle, die alles ordnet und To-do-Listen an Muskeln und Drüsen
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