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Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Autoren: Dieter Nuhr
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auch nicht grundsätzlich für unrein, aber einer der Vorzüge des Menschen als Krone der Schöpfung ist fließendes Wasser. Ich habe irgendwann als kleines Kind der Suhle Adieu gesagt, weil meine Mutter jedes Mal, wenn ich schlammgebadet nach Hause kam, die Hände über dem Kopf zusammenschlug und sich über Flecken beklagte, die sie „nie mehr herausbekommen würde“.
    Natürlich bekam ich die Klamotten immer irgendwann im neuwertigen Zustand wieder, rein und unbefleckt, musste dafür aber in Kauf nehmen, in langen Monologen auf die unüberwindlich erscheinenden Schwierigkeiten hingewiesen zu werden, denen sich meine Mutter bei der Fleckentfernung ausgesetzt sah, Flecken, deren diabolischer Hartnäckigkeit nur mit heldenhaftem Mut und übermenschlichen Kräften beizukommen war, Kräfte, über die meine Mutter offenbar als einziger Mensch auf der Welt verfügte, Gott sei gepriesen … Meine Mutter war eine Superheldin, war Fleckenwoman, die alle Bösen dieser Welt besiegte, den Ketchupman, Schokoladendevil oder sogar den damals nur im Sommer erscheinenden Kirschfleckenjoker!
    Meine Mutter besiegte ihn jedes Mal unter Einsatz ihres Lebens. Mütter neigten damals wie heute dazu, ihren Kampf gegen Lärmemission, Dekontamination und Entropie zu heroisieren.
    Heute hat sich die Rolle der Erziehungsberechtigten noch erweitert. Sie sind nicht nur Reinigungskräfte und Ordnungshüter, sondern auch Dienstknechte und Chauffeure. Sie fahren ihre missratene Brut auf Befehl überallhin und haben sich widerstandslos in ihre Rolle als Sklave der Nachkommen gefügt.
    Verbrauchte Frauen mit Kinderwagen stehen griesig, grau und muffelnd im Bus, weil sie glauben, dass jede Form der Körperpflege im Moment ihrer Befruchtung unnötig geworden sei. Sie tragen eine stachelige Mütze aus fettigem Haar wie eine Dornenkrone und reden mit ihren Mitmüttern lauthals über Pilzbefall an Stellen, die man sich als Mitreisender gar nicht vorstellen möchte. Und sie halten sich, Arm hoch, an der Halteschlaufe fest und geben dadurch den Blick frei auf ein in der Achselhöhle wachsendes kleines Mischwäldchen. Man meint Nadel-und Laubgehölze zu erkennen, Farne, Flechten und vor allem Weiden, traurig vor sich hin hängende Weiden, Trauerweiden, an deren Zweigenden sich Schweißkristalle festkrallen. Ich glaube nicht, dass früher alles besser war, aber früher trug man lange Ärmel. Schlimme Dinge blieben so verborgen.
    Auch früher war man hygienisch nachlässig, aber im Schoß der Familie blieb das Übelste verborgen. Gebadet wurde ausschließlich am Wochenende. Heute 15-Jährige können sich nicht mehr vorstellen, dass früher die ganze Familie nur eine Wannenwasserfüllung verwendete, Vater zuerst, dann die anderen und am Ende der Kleinste, der sich, dem Wasserbüffel gleich, in lauer Brühe vergnügte, einem Sud aus Schweiß und Tränen, Haaren und Schuppen. Das ist vorbei. Wir leben heute in einer besseren Welt.
    Heute gilt ein Duschbad am Morgen nicht mehr als Luxus. Nur in ökologischen Kreisen wird es abgelehnt. Dort heißt es dann, wir müssten Wasser sparen. Natürlich! Es regnet von Anfang November bis Ende Oktober, dasGrundwasser steht bis zur Kellerkante, die Pumpe im Pumpensumpf pumpt, was die Pumpe hergibt, aber wir müssen Wasser sparen, selbstverständlich! Jeder, der aus Feuchtgebieten wie der Sahara oder der Namibwüste zu uns kommt, sieht sofort, dass bei uns schwerer Wassermangel herrscht. Aber ist das ein Grund, sich modernd in den Bus zu stellen und die Mitreisenden zu verseuchen? Nein!
    Ist es spießig, der Sauberkeit das Wort zu reden? Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal. Es gibt nichts Spießigeres, als darüber nachzudenken, ob etwas spießig ist. Es ist kurz nach halb acht. Um diese Uhrzeit weiß ich gar nichts. Ich weiß nur, dass ich gleich duschen werde, ohne mich ideologischen Zwängen zu unterwerfen. Ohne Dusche bin ich mental noch im Bett. Die großen Erfindungen, Feuer, Rad und Sanitärhygiene, haben uns aus der Tierwelt emporgehoben und in die Höhen der Zivilisation katapultiert. Ich dusche, also bin ich. Lavo, ergo sum. Ni feteo, itaque homo sum.
    Ich wurde in der bürgerlichen alten Zeit geprägt. Die Aufrechterhaltung der Sauberkeit galt als oberstes Ziel der humanen Existenz. Bis heute irritiert mich, wenn sich die Ordnung der Dinge verschiebt. Das erinnert mich wieder daran, dass die Damen mit dem Wachtturm in den letzten Monaten verschwunden sind. Muss ich mir Sorgen machen, eine Vermisstenmeldung
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