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Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Autoren: Dieter Nuhr
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ohne Soundfile. Wie wird die alte Grille klingen? Wahrscheinlich wie eine neue Grille. Sie wird grrrrrrrrrrrr machen.
    Wenn wir erst einmal wissen, wie eine paläontologische Fossilgrille klingt, ist es nicht mehr weit bis zur Rekonstruktion und Wiederbelebung. Irgendwann werden dann archaische Kerbtiere aus der Klasse der Gliederfüßer auf meinem Balkon sitzen. Wahrscheinlich sind sie einen halben Meter lang, wiegen einen Zentner und tuten wie ein Kreuzfahrtschiff im Hafen. Oder wie Ivan Rebroff, der damals fünf Milliarden Jahre vor der Sonne starb, aber 165 Millionen Jahre nach einer Grille, deren Zirpen nun entschlüsselt wurde.
    Hatte Ivan Rebroff nicht eine Falsettstimme? Dann hinkt der Vergleich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgestorbene Grillen im Falsett zirpen. Überhaupt geht das Zirpen von Urzeitinsekten wahrscheinlich über die Vorstellungskraft des Menschen hinaus, es sei denn, er ist Paläontologe in Bristol.
    Wo ist überhaupt Bristol? Es liegt im Südwesten von England und ist, das behauptet zumindest Google, die achtgrößte Stadt der Insel. Google muss es wissen. Und selbst wenn Bristol die neuntgrößte Stadt Englands wäre, dann würde Google eben so viele Menschen dort ansiedeln, bis es wieder stimmen würde. Google ist die Macht. May the force be with you!
    Die Menschen in Bristol beschäftigen sich mit versteinerten Tieren. Was wäre das Leben ohne Internet, Grillen und Paläontologen? Essen, Trinken, Verdauen. Natürlich besteht das Leben auch in Zeiten des Internets im Wesentlichen aus Essen, Trinken und Verdauen. Aber wenn einemdie Zeit lang ist, kann man zwischendurch nachschauen, warum Bristol nicht die siebtgrößte Stadt Englands ist. Das liegt an der großen Pest im 14. Jahrhundert, die zu einem lang anhaltenden Bevölkerungsrückgang führte. Ein bisschen mehr Demut gegenüber den Leistungen der modernen Pharmazeutik täte uns gut. Die Pest konnten wir aufgrund unserer Fortschritte den Schweinen überlassen. Es gibt immer irgendwo Verlierer.
    Padumm! Padumm! Draußen auf der Straße schlägt wieder das Herz der Großstadt und verdichtet. Die Langeweile sagt dem Herrscher der Dampframme: Ramme! Ramme! Auch wenn dein Ziel erfüllt ist. Du bist nicht nur der Hahn der modernen Industriegesellschaft, der Weckbeauftragte der Verkehrsbehörde, du bist auch der Verdichter. Verdichte! Verdichte!
    Beim Strecken der Glieder knackt das Brustbein. Keine gute Voraussetzung, um sich von der Horizontalen zu erheben und der Schwerkraft ihre Grenzen aufzuzeigen. Hinter den Augen ist ein Gefühl wie ein Geschmack nach Schiefer, grau und brüchig. Padumm! Padumm! Mein Paradiesvertreiber hat sich darauf kapriziert, zu verhindern, dass ich zurücksinke in den Zustand kindlicher Ruhe. Es ist sinnlos, liegen zu bleiben.
    07 42
Die zentrale Frage des Morgens ist: Wie viel mehr Sinn steckt im Aufstehen als im Liegenbleiben? Und hat nicht jeder Zustand seine Berechtigung? Seine Selbstverständlichkeit? Ein Hahn denkt nicht nach über das Aufstehen. Ihm ist es auch egal, dass er an den Füßen keine Federn hat. Ich habeebenfalls keine Federn an den Füßen, stehe dennoch nur ungern auf. Ich fühle mich wie eine versteinerte Grille. Bewegung ist vom Unterbewusstsein unerwünscht. Wachträume kennzeichnen den Zwischenzustand zwischen Nacht und Tag.
    Leider bin ich kein Surrealist, sonst würde ich die Bilder, die nun in meinem Kopf kursieren, malen. Die Gemälde würden „Surrealistische Metamorphose“ heißen oder „Frau, ein Brot auf dem Kopf balancierend“ oder „Halluzinogene Hornhaut“. Sie würden von sterbenden Bauarbeitern mit schmelzenden Dampframmen bevölkert, die nur noch ein armseliges „babub“ vor sich hin stottern statt des stolzen „padumm“ aus ihrer Zeit der strammen Männlichkeit. Ich denke, hier manifestieren sich unterbewusste Wünsche oder Ängste. Wer hätte nicht ab und zu Angst zu schmelzen.
    In meinem Kopf versucht ein Mann mit einer Dampframme, meine Hirnwindungen zu glätten. Padumm! Padumm! Langsam, aber sicher ebnen sich die für das Hirn charakteristischen Wulste ein. Plötzlich ein Knirschen und Grunzen, da versinkt das Gerät samt Arbeiter im Boden. Er ist eingebrochen und befindet sich nun mitten in meinem Hirn. Im Inneren des Kopfes sprudeln die Gedanken. Arbeiter und Ramme werden umhergeschleudert und bleiben an einer Stelle liegen, die für Urlaubsträume zuständig ist. Dort gibt es eine Palmeninsel mit Skipiste und buddhistischem Tempel. Das könnte Las
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