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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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Eis erstarrt. Die Salzbecken, die sie für das jährliche Saubermachen im Frühjahr geleert hatte, waren voller Schnee, und am Drake’s Beach schlugen die Wellen so hoch, dass man zehn Jahre später in den Dünen noch immer Reste von Treibholz finden würde.
    Jos Mutter hatte die Kinder allein zur Welt gebracht. Wenn man die Gewohnheiten von Jos Vater bedenke, sei das aber vermutlich auch besser so, erklärte sie. Er saß in der Stadt fest, war bei Freunden untergekommen, trank dort Bier und erzählte schmutzige Witze, während Jos Mutter ihren größten Topf mit Wasser füllte, es auf dem Herdfeuer zum Kochen brachte und ein noch gutes Bettlaken in Streifen riss. Sie legte Zwirn und Schere bereit, fütterte den Ofen mit so vielen Scheiten, wie sie wagte, bereitete einen weiteren Stapel Feuerholz vor, hockte sich dann neben die Flammen und wartete.
    Als Jos Vater nach dem Sturm endlich nach Hause kam, ging er nicht direkt ins Haus. Stattdessen blieb er auf der Veranda stehen und nahm die Schäden nach dem Unwetter in Augenschein.
    Jo konnte es sich ganz genau vorstellen. Vielleicht hatte der Sturm die eine oder andere Kiefer entwurzelt und auf den Weg gepustet wie dünnes Kraut. Sicher lagen überall Schindeln herum wie tote Vögel, und die toten Vögel selbst waren wohl in den Fluten versunken wie Steine, die vom Himmel fielen.
    Das Salz war in diesem Moment bestimmt unter der Schneedecke versteckt, und die Salt Creek Farm sah dieses eine Mal genauso aus wie alle anderen Grundstücke in Prospect. Vermutlich war das der Grund, oder vielleicht war Jos Vater nach dem Fußmarsch nach Hause auch einfach ausnahmsweise einmal nüchtern, Jo jedenfalls stellte sich vor, dass die Wolken, die sonst seinen Verstand benebelten, plötzlich aufrissen und er sich für einen Augenblick ein Leben jenseits des Salzguts ausmalen konnte. Jo nahm an, dass er bereits in diesem Moment die Beine in die Hand genommen und sich davongemacht hätte, wäre nicht die Tür des Gutshauses knarzend aufgegangen und warme Luft nach draußen geströmt. Da stand Mama im Nachthemd und hielt statt einem Baby zwei im Arm: ihren Bruder, rothaarig und sommersprossig wie alle Gillys, und Jo, so dunkel wie die Asche im Kamin.
    Die Seele ihres Vaters wurde wieder von Wolken überschattet. »Jetzt sag mir wenigstens, dass eins davon ein Junge ist«, knurrte er, und Jos Mutter nickte und streckte ihm den Säugling mit dem roten Schopf entgegen.
    »Na, dem Himmel sei Dank«, antwortete Jos Vater und schob sich dann an seiner Frau vorbei, um sich an der Flasche Gin gütlich zu tun, die er im kaputten Klavier im Flur aufbewahrte. Zwei tiefe Schlucke für die zwei Babys. Seit Jo sich an ihren Vater erinnern konnte, sah er eigentlich immer doppelt.
    Wenn ihr Vater kein Säufer gewesen wäre, dann hätte ihre Mutter wohl überhaupt nicht geheiratet, erklärte diese Jo einmal mit vorgeblicher Seelenruhe.
    »Wieso?«, fragte Jo.
    »Das liegt am Salz«, seufzte Jos Mutter. »Die Leute haben Angst davor. Es gibt hier weit und breit keinen nüchternen Mann, der dich oder Claire heiraten würde, es sei denn, man zwingt ihn mit vorgehaltener Waffe dazu – und vielleicht nicht einmal dann.«
    Mama zufolge war Jos Vater nicht immer so gewesen. Als fähiger Mechaniker hatte er seinen mageren Lebensunterhalt einst damit verdient, klapprige Autos wieder in einen halbwegs fahrbaren Untersatz zu verwandeln . Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte er sich freiwillig gemeldet, weil er dachte, dass er vielleicht an Jeeps und Panzern arbeiten könne, die Armee hatte ihn jedoch abgelehnt.
    »Schwaches Herz«, erklärte bei der Untersuchung der Arzt mit den Glubschaugen, der mit jedem Vokal den Mund weit aufriss. »Sieht schlimm aus. Sie können von Glück reden, wenn Sie dreißig werden, von vierzig ganz zu schweigen.«
    Jo war stets davon ausgegangen, dass dies im Leben ihres Vaters den Wendepunkt darstellte. Damals fing er wohl an zu trinken, denn wenn er schon draufgehen würde, dann wollte er sich die letzten Jahre wenigstens noch etwas versüßen. Und als er dann auch noch Jos Mutter heiratete, versumpfte er vollends, und seine schlimmsten Vorahnungen wurden Wirklichkeit. Schlamm erwartete ihn auf der Veranda, wenn er nur einen Fuß nach draußen setzte, er trübte den Grund der Ablaufrinnen, war im Salz selbst zu finden und färbte es seltsam grau. An all dem war für ihn Jos Mutter schuld und das Salz, das sie erntete.
    »Hat sie einen Pferdefuß?«, spotteten seine Freunde,
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