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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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zurück in die Stadt hing Jo in Gedanken noch immer dem Gespräch an der Pier nach und hätte vor dem alten Imbiss fast eine Leiter umgefahren. Sie parkte den Truck, stieg aus und näherte sich dem staubigen Fenster.
    »Hey«, rief ein Mann mit kantigem Kinn, den Jo noch nie zuvor gesehen hatte, »passen Sie doch auf, wo Sie langlaufen!« Verdutzt sah Jo nach oben, wo eine pummelige Jugendliche auf der obersten Sprosse stand und ein Schild aufzuhängen versuchte, auf dem »Zum Leuchtturm« stand. Jo blinzelte. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass ein neuer Besitzer das Lokal übernommen hatte. Angesichts dieser Erkenntnis schlug ihr Herz ein wenig schneller. Frisches Blut in der Stadt bedeutete neue Kunden. In der Hoffnung, dass ihre Schwester ihr noch nicht zuvorgekommen war, stemmte Jo die Hände in die Hüften und rüstete sich für ein spontanes Verkaufsgespräch.
    Sie nahm den Mann unter die Lupe und sah dann wieder zu dem Mädchen hinauf. Der Altersunterschied war so groß, dass sie eigentlich nur Vater und Tochter sein konnten, oder vielleicht Onkel und Nichte, dachte Jo. Der Mann trug einen bereits leicht ergrauten Bürstenschnitt und hatte Hände voller Altersflecken. Das Mädchen war eine rundlichere Version von ihm. Pralle Bäckchen und eine Stupsnase, dazu so dicht beieinanderstehende Augen, dass man die junge Frau nicht wirklich als hübsch bezeichnen konnte. Solche Mädchen wurden in Prospect entweder früh in die eisernen Bande einer Ehe mit einem brutalen Mann gezwungen oder entkamen diesem Schicksal und endeten als Fischweiber mit harten Mündern und ebensolchen Herzen. Aber für dieses Mädchen hier lag das alles ja noch in weiter Ferne. Jetzt hingegen war es für Jo an der Zeit, ihre Ware unter die Leute zu bringen.
    Fremde standen dem Salz – und ihr, was ja fast dasselbe war – ziemlich misstrauisch gegenüber, also wunderte es Jo nicht, dass der Mann und die teiggesichtige junge Frau beim Anblick ihrer Narben das Gesicht verzogen. Seit dem Feuer, das sie so gezeichnet hatte, waren fast dreizehn Jahre verstrichen, aber an manche Blicke, die ihr galten, hatte Jo sich immer noch nicht gewöhnt. Offensichtlich war ihr Inneres nicht auf dem gleichen Stand wie ihr Äußeres, doch das ging vermutlich allen so. Die meisten Leute ließen es sich nur nicht anmerken. Der Mann, der jetzt vor Jo stand, sah jedenfalls nicht so aus, als würde er sich darüber den Kopf zerbrechen. Er wirkte vielmehr, als erwarte er von seinen Mitmenschen, dass sie sich in Reih und Glied vor ihm aufbauten und salutierten.
    »Etwas weiter nach links!«, rief er dem Mädchen zu. »Nach links, verdammt noch mal!« Die junge Frau seufzte, tat dann aber wie geheißen, bevor sie die Leiter auf schwerfällige, linkische Art hinunterstieg, so, als hätte man ihr eine eigene Meinung schon frühzeitig ausgetrieben. Dann bemerkte Jo jedoch, wie sie mit den Augen rollte, als der Mann nicht hinsah, und begriff, wie falsch sie da gelegen hatte. Die junge Frau hatte durchaus eine eigene Meinung, behielt sie aber ganz einfach für sich. Jo wartete ab, bis das Mädchen wieder mit beiden Beinen auf der Erde stand, und bemerkte dann: »Weiter nach rechts wäre besser gewesen.«
    Der Mann runzelte erneut die Stirn, kam schließlich herüber und streckte ihr die Hand entgegen. »Cutt Pitman«, stellte er sich vor. »Und das ist meine Tochter, Dee.« Er wies auf das Mädchen. »Das Restaurant ist noch nicht eröffnet.«
    Jo ignorierte die ausgestreckte Hand. »Joanna Gilly«, erwiderte sie. »Ich bin auch nicht hier, um etwas zu essen. Ich habe Ihnen Salz mitgebracht.« Sie zog eine kleine Kostprobe ihres Salzes aus der Tasche und drückte es dem Mann in die schwielige Hand. »Rufen Sie mich an, wenn Sie eröffnen, dann bringe ich Ihnen noch mehr vorbei. Über den Preis werden wir uns schon einig. Ich bin nächsten Dienstag wieder in der Stadt.«
    Sie wandte sich ab, doch so einfach ließ der Mann sie nicht gehen. »Und warum sollte ich von Ihnen Salz kaufen, wenn ich das auch pfundweise abgepackt bekomme?«, wollte er wissen.
    Jo verschränkte die Arme und leckte sich am rechten Mundwinkel über die juckenden Narben. »Wenn Sie mir nichts abkaufen«, erklärte sie, »dann wird hier auch niemand essen.«
    Cutt grinste. »Wer sagt das?«
    Jo starrte ihn mit ihrem guten Auge an. »Das ist das Seltsame an dieser Stadt«, antwortete sie. »Es würde zwar keiner etwas sagen, trotzdem würden die Leute einfach wegbleiben. Wir sehen uns nächsten
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