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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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mit Jo zur Tür hinaus. Es dauerte nicht lange, bis der Fluch seine Wirkung zeigte. Eine Woche später war das Fleisch in Mr Uptons Laden verdorben, und in der frischen Butter fand sich Fliegendreck. Ein Regal mit Dosenbohnen stürzte um und traf Mabel Arch an der arthritisgeplagten Hüfte, der Fischhändler weigerte sich zu liefern, und die geschnittenen Brotlaibe schimmelten in Plastiktüten vor sich hin. Jos Mutter wartete noch zwei weitere Tage ab und konnte bei ihrem nächsten Besuch im Laden feststellen, dass Mr Upton seine Meinung plötzlich geändert hatte. Er würde ihr Salz doch verkaufen.
    Inzwischen gehörte er zu den wenigen in Prospect, die es immer noch führten, auch wenn es bei ihm hinter dem Tresen stand, ganz unten in einem staubigen Regal, für dessen Erkundung man eigentlich eine Höhlenlampe brauchte. Früher hatte er davon zig Säcke bestellt, jetzt hatte er immer nur einen oder zwei davon vorrätig – nicht so viel wie von anderen Produkten, aber doch genug, um das Salz nicht zu vergrätzen. Wenn Jo sich erkundigte, ob er Nachschub benötigte, wich Mr Upton ihrem Blick meistens aus und schüttelte bedauernd den Kopf. »Im Moment nicht«, sagte er dann und schloss die Kasse. »Vielleicht nächsten Monat.« Jo knirschte nur mit den Zähnen und hätte Claire am liebsten bis zum Hals in dem von ihr so verhassten Salz eingegraben und sie so zurückgelassen, bis Jo all ihre früheren Kunden wiederhatte.
    Andererseits konnte sie Claire nicht für alles die Schuld geben. Wenn es umgekehrt gekommen wäre, vermutete Jo, wenn sie Whit geheiratet hätte und im großen Turner-Haus wohnen würde und Claire ganz allein in der Marsch im Matsch stecken würde, dann hätte sie mit Sicherheit die Menschen von Provincetown bis Falmouth dazu gebracht, nach ihrem Salz zu lechzen. Jos Lieferwagen war zwar eine Rostlaube, aber er fuhr noch. Sie hätte das ganze Kap abklappern und sich nach neuen Kunden umsehen sollen, das war ihr schon klar, aber so, wie Fremde die Narben auf ihrer rechten Gesichtshälfte anstarrten, war das leichter gesagt als getan. Und außerdem blieb auch dann noch die Frage, wer sich um die Marsch kümmerte, während sie in der Weltgeschichte herumgondelte.
    Und da war sie auch schon am Ende der Welt angelangt, oder vielmehr bei den Docks, an denen die letzten paar Fischerboote wie zerfressene Korken auf dem Wasser tanzten. Die durch die OPEC und die anhaltende Energiekrise ständig steigenden Benzinpreise brachten immer mehr Kapitäne dazu, aufzugeben und der See den Rücken zuzukehren. Wirklich schade, dachte Jo, nicht nur, weil sie dadurch Kunden verlor, sondern auch, weil die Docks ohne den Verkehr am Kai noch schäbiger und heruntergekommener aussahen als früher – die Pier stand gefährlich krumm da, an entscheidenden Stellen fehlten Planken, an anderen war das Holz morsch. Hier war der Niedergang der Stadt besonders deutlich zu erkennen. Vorsichtig betrat Jo die Hauptpier und hielt auf Chet Stones Boot zu.
    »Hallo, Seemann!«, grüßte der jedes Mal, wenn er sie kommen sah. Das war ironisch gemeint, weil Jo nie im Leben auch nur einen Fuß auf eines der Fischerboote setzen würde, ganz egal, wie oft man sie einlud. Aus Chets tragbarem Radio erklangen Nachrichten über die amerikanischen Geiseln im Iran. Der Fischer runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Was ist nur aus der Welt geworden?«, fragte er und streckte die Hand nach dem Salz aus, das Jo ihm mitgebracht hatte. »Die Leute bleiben einfach nicht mehr da, wo sie hingehören. Gut, dass du noch hier bist.« Er grinste und stellte den Sack zu seinen Füßen ab. »Denn damit bleiben meine Fische kühl und mein Boot sicher. Aber diese armen Kerle …«, er deutete mit dem Daumen auf das Radio, »tja, ich fürchte, für die kann man wohl nichts mehr tun.«
    Wortlos griff Jo nach dem Geld, das er ihr reichte. Insgeheim befürchtete sie aber, dass Chet Stone über sie so ziemlich dasselbe sagen und die Seefahrt an den Nagel hängen könnte, wenn er von dem Brief wüsste, der sie erreicht hatte. Und ohne ihren treusten Kunden würde sie dann ganz schön in der Klemme sitzen. Sie räusperte sich und schob sich das Geldbündel in die Jackentasche. »Mach dir da mal keine Sorgen«, beruhigte sie ihn schließlich. »Ich habe nicht vor, irgendwo hinzugehen.«
    »Das hoffe ich auch«, antwortete Chet und wandte sich wieder dem Köder zu, den er gerade zurechtschnitt. »Sonst geht hier nämlich alles den Bach runter.«
    Auf dem Weg
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